3.12. Bekannte Originale der Kleinstadt

3.12. Bekannte Originale der Kleinstadt

Peo sieht sich noch mit seiner achten Klasse in einem der siebziger Jahre am Schluckspecht, so mancher nennt noch heute die Stelle „Schwarzes Ross“ (oder war es ein andersfarbiger Gaul?), stehen und warten, als ihm ein zunächst unbekannter Herr so vorgestellt wurde, dass er sich genötigt sah, ihm, dem Leiter der Kreisdienststelle der Staatssicherheit, nicht die Hand zu geben. Könnte dieser sich erinnern?

Am 23. November, also dem des Jahres 1989, Punkt 12.00 Uhr, war Peo gereifter und höflicher, konnte diesen Händedruck vollziehen, nicht nachholen, obwohl es ihm schon immer schwer fiel, private Abneigung und sachliches Anliegen strikt zu trennen. Jetzt wusste er allerdings, dass er als demokratisch legitimierter Partner, mit dem Anliegen, die Behörde aufzulösen und zur Übergabe aufzufordern, diese Vollmacht der Öffentlichkeit nicht missbrauchen will und darf, der Besuchte sich nun sogar als höflich und humorvoll zeigte, privat sympathisch wurde. Fühlte er sich, der Leiter der Kreisbehörde für Staatssicherheit, vielleicht erlöst und dem dienstlichen Druck nicht mehr ausgesetzt?

Ging es ihm plötzlich so, wie dem Polizeichef, welcher sich anlässlich seiner zweiten Begegnung mit Peo, die erste große Demonstration der Wende in seiner Kleinstadt musste angemeldet werden, auch hier war Peo entgegen der Vereinbarung des Leitungskreises allein vor Ort (weil der Partner nicht kam), dem Besucher gegenüber erleichtert zeigte, nicht mehr unter Beobachtung zu stehen?Die erste Begegnung mit dem Polizeichef kam 1986 durch seinen Reiseantrag in die Nachbarrepublik zustande. Die Befragung dauerte Stunden. Heute, am 30. Oktober 1989, ging alles ganz unbürokratisch.

Schon am polizeilich gesicherten Einlass erfolgte mit einer neuen Verhaltensform die Begrüßung: „Kommen Sie herein, mein Herr, der Genosse führt Sie zum Dienststellenleiter. Es wird Zeit, dass ihr kommt und den Laden aufräumt.“
Hat Stempelbauer, ein bekanntes Original, schon etwas von Abwicklung, neuem Beamtenrecht mit Laufbahn Ost und Laufbahn West, Osttarif, Rechtbeugungsbegriffe wie Ostpolizei, Westpolizei gewusst oder geahnt? Wohl nicht.

Nun gut, so wörtlich haben wir es wohl beide nicht mit dem Aufräumen vorgehabt und gemeint. Schön war es trotzdem, diese Worte aus dem Mund eines sonst sehr pflichtbewussten schnell stempelnden Verkehrspolizisten zu hören. Der hatte Peo schon in jugendlichen Jahren, also vor 33 Jahren, auf dem 125 Kubikzentimeter starken Motorroller Troll in der Weißenfelser Straße mit einem Stempel abgefangen, umgangssprachlich abge-Bauer-t, als Peo dem Roller „Berlin“ mit seinem Bruder als Lenker mit 60 Stundenkilometer hinterher jagte. „Man, habe ich mich als damaliger, wenn auch viel zu junger Schulleiter vielleicht geschämt“ meinte Peo (später mehr über den Unsinn, einem gestandenen Kollegium einen erst zwei Jahre im Dienst befindlichen jungen Mann als Schulleiter vor die Nase zu setzen).
Ein kluger, nunmehr auch schon alter Sachse gab immer mal Peo, wenn dieser darüber grübelte, mit auf den Weg: „Die Genossen werden sich dabei schon was gedacht haben“.

Mit dem Polizeichef wurde auch gleich, wie auch später, eine Absicherung der Demonstration festgelegt. So fuhr auf einem Polizei-Kraftrad ein gleichfalls jedem in der Stadt bekannter Verkehrspolizist aus der Georgenstraße einsam voran und Leißling-te dem Zug die Straße frei. Ungestümen Jugendlichen gab er, vorbeifahrend, Hinweise im Umgang mit am Straßenrand abgestellten brennenden Kerzen. Einfach cool. Und niemand wurde gegenüber den Symbolträgern der alten Staatsmacht ausfällig. Er spürte das und ist bestimmt auch heute noch auf seine historisch interessante Aufgabe und seinen Mut stolz.

Vergessen wir ihn nicht, den wackeren Mann, meinte Peo und vergessen wir auch nicht Gunter, der mit seinem Fotoapparat durch die Massen Heineck-te (eine Umschreibung für gefährliches Fotografieren), denn die Zeiten waren politisch überhaupt noch nicht sicher. Sah man doch erst vor nur wenigen Wochen, also in der Wendezeit, noch Bildberichte über verprügelte und festgenommene fotografierende Bürger und Journalisten.

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