3.13. Die Kaffeekasse

3.13. Die Kaffeekasse

Nun aber zurück zum Empfänger der Kalaschnikow, dem 1989 rund fünfunddreißig Jahre zählenden Leiter der Dienststelle mit seinen fünfunddreißig Mitarbeitern. Angst hatte Peo nicht. Wieder diese Naivität, dieses Vertrauen in jeden. Aber sicher hatte er einen erhöhten Blutdruck, der sich zehn Jahre später dank vieler Widrigkeiten durch die neue Nomenklatura von allein einstellte, als er ohne Begleitung die Behörde am Postring aufsuchte. Ihn empfing ein ehemaliger Schüler. Dieser ließ Peo im Warteraum Platz nehmen. Das Neue Forum hatte beschlossen, dass eine zweite Person aus einer in der Stadt wirkenden Bürgerbewegung Peo begleitet. Zur vereinbarten Uhrzeit war keiner da. Später haben ihn einige Mitstreiter des Alleinganges bezichtigt, genau die, welche dann in allen Himmelsrichtungen der Bundesländer verschwanden.

Der Warteraum war vergittert und von innen nicht zu öffnen. Seine nicht gerade sanften Faustschläge gegen die Tür erzwangen ein etwas gastfreundlicheres Verhalten. Die Tür blieb auf und bald konnte er dem Diensthabenden in das Chefzimmer folgen. Mit dem Rücken zum Licht begrüßte ihn der Hausherr, sein Jugendweihepate. Zunächst wurde gleich einmal erklärt, dass die Kalaschnikow an der Wand aufgebohrt und somit untauglich sei. „Ein Geschenk des Kommandanten der Streitkräfte“, auf dem Georgenberg residierend.

(War es der General, welcher in einer sommerlichen Nacht- und Nebelgaudi 1991 oder war es 1993 oder gar 1992 Trauzeuge wurde in einer Trauung Händels ohne das für Christen vorgeschriebene Aufgebot, in Anwesenheit eines religiösen Würdenträgers, welcher die Trauung vollzog? Überseh- und überhörbar war die Lach- und Krachgesellschaft schon wegen der Wohngebietsnähe und der offenen Landschaft nicht. Hatte er mit einem General als Trauzeuge ein Gespür für Zumutbarkeit gegenüber seinen Landsleuten nach Jahrzehnten der zeitweiligen Anwesenheit von Truppen in der Kleinstadt? Diente der General als Tischfigur oder auch als Zielperson für spätere kostenlose Einladungen zu Fahrradtouren rund um Königsberg? Er, der als Kind an der Wohlstandsflucht seiner Eltern teilnahm, welcher betont, ein Hiesiger zu sein?“)

Das blinkende Lämpchen auf dem Tisch habe auch keine Bedeutung, man könnte ungezwungen reden. Das taten beide, wobei Peo sich bemühte, gelassen zu bleiben. Der Behördenleiter vereinbarte den Termin der Auflösung der Dienststelle zum 11. Dezember 1989. An jenem Tag wurden Protokolle über Waffen und Munition übergeben, Bekleidungsberge nach versteckten Akten gesichtet, die Schredderreste in den Garagen in Augenschein genommen, Quellenlisten entgegengenommen, Räume vom Keller über den Verbindungsgang zwischen zwei nebeneinander liegenden kleinen Villen bis zu den Obergeschossen besichtigt. Am Ende blieb die Erkenntnis: Ein Anspruch auf Vollständigkeit dessen, was die Bürgerbewegung haben und sehen wollte, wurde nicht erfüllt. Redlichkeit demonstrierend, waren in einem Kästchen die Münzen der Kaffeekasse der Mitarbeiter vollständig ausgewiesen.

Haben die etwa gefeixt? Peo fühlte sich verarscht. Er kam doch als Bürgerrechtler, um Wahrheiten auszutauschen und Zukunft anzubieten. Heute, mit der freiheitlich demokratischen Rechtsordnung ausgestattet und oft in Kontakt geraten, denkt er, die Herren waren noch viel zu freundlich. Ein wenig Angst hätte Peo gebraucht, um hellhöriger zu reagieren.
Die Mitteldeutsche Zeitung brachte durch geschickte Fragestellung und Gespür „Ihrer Heiligkeit“, einer Journalistin am 11.12.1992 unter dem Stichwort STASI/Öffnung der Akten in einem Interview Peos Haltung sehr schön auf den Punkt:
„Nicht Auge um Auge und Zahn um Zahn zurückzahlen“ Koordinierender Schulrat und Kreistagsabgeordneter äußerte gegenüber der MZ

„Wir sollten uns gegenseitig helfen, im Umgang mit denen, die jetzt zu „Opfern der Stasi“ zu werden drohen.“Wie gehen Sie mit der Öffnung der Stasi-Akten um?„Ich finde es gut, wenn aus der Presse des Landkreises und aus den Gesprächen miteinander hervorgeht, dass die meisten schon wissen wollen, wer wen bespitzelt hat. Aber bitte nicht aus dem Grund, um Auge um Auge und Zahn um Zahn zurückzahlen zu wollen. Wohin sollte das wohl führen?“
Weiter meinte er:
„Ich hatte seit September 1989 genügend Kontakte zu hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeitern, musste und wollte als Dezernent der Kreisverwaltung Grenzen ziehen, ohne diese Leute auszugrenzen. Schon im Herbst 1989 habe ich meine Haltung zum Verhalten gegenüber Staatssicherheit und Volkspolizei dargelegt.“
Sollte es überhaupt eine Abrechnung mit Informanten und hauptamtlichen Mitarbeitern geben?
„Wer nicht nur wenig Charakter zeigte, sondern auch noch so naiv war, an die Ewigkeit des Systems zu glauben und sich damit hemmungslos mit dessen Instrumenten einließ, hat die Folgen zu tragen. Die Folgen aber sollten der humanitären Einstellung entsprechen, maßvoll sein, trotzdem konsequent, wenn es um die weitere Beschäftigung geht.“
Liegt von Ihnen bei der Gauck-Behörde ein Antrag vor und wenn ja, aus welchem Grund?
„Ich habe dort einen Antrag liegen und würde gelassen zur Kenntnis nehmen, dass ich fast 30 Jahre lang an mir befreundete Kaffeegäste Informationen lieferte.“
„Ich werde den Verdacht nicht los, dass man bewusst die Ostdeutschen aufeinander hetzt, um aus diesem Ostspektakel, aus welchem Grund auch immer, Kapital zu schöpfen.“
„Jeder muss mit sich selbst fertig werden, aber vielleicht können wir uns gegenseitig helfen im Umgang mit denen, die jetzt zu „Opfern der Stasi“ zu werden drohen.“
„Es gibt kein Rezept für den Umgang mit den Erkenntnissen über die Informationstätigkeit des Bürgers neben mir. Jeder Mensch wird unterschiedlich reagieren.“

Auch vor Weihnachten 1989 in einer Strafvollzugsanstalt dem Hilferuf der Anstaltsleitung folgend, war er immer noch nicht klüger. Er glaubte bedingungslos den Aussagen der so leidenden Einsitzenden. „Herr Peo, ich habe aus Versehen eine Nadel verschluckt. Der Doktor aber sagt, wenn sie oben rein gekommen ist, lass sie unten wieder raus. Wo bleibt hier die Wende?“. Nur gut, dass Peo keine Vollzugsgewalt hatte. In Freiheit wäre wohl so mancher Unhold gleich auf dem sich geöffneten freien Markt der Kriminalität zu weiteren Untaten geschritten und dabei erfolgreich hoffend dürfend, dass die blühenden Landschaften einen wohlduftenden Teppich über alles bereiten, die neuen Juristen solange Straftaten verklausulieren bis sie keine mehr sind.
Nun, ungeachtet späterer Erkenntnisse wurde am 17.12.1989 ein Postwagen auf den Markt gestellt, in welchen viele Bürger, auch Peos kleine Tochter, Weihnachtspäckchen für die Einsitzenden hineingaben. Ein sehr engagierter netter Pfarrer, wenig später als belastet von seinen Brüdern vertrieben, und seine Gattin, später im Jugendamt als Leiterin die ersten Hürden nehmend, waren wohl die Initiatoren.
Aussagen der Einsitzenden waren schon nicht so einfach zu verdauen.

So sollen der Leiter des Hauses zusammen mit dem Chef eines großen Metallbetriebes der Region die den Gefangenen zustehende Jahresendprämie in die eigenen Unkosten haben einfließen lassen. So soll es Isolierungen in kleinsten Kammern gegeben haben, in welchen das Neue Forum lediglich Putzzeug und Marmeladeneimer vorfand. Durch die riesige Fülle von Aufgaben konnte das kleine Fähnlein der Neuen, Peo vermeidet hier das Wort „Aufrechten“, nur sehr oberflächlich den Wahrheitsgehalt feststellen, kaum etwas bewirken. Zuständigkeiten waren nicht geregelt, Zuständige noch unerfahren weil neue oder unsicher weil alte Kader. Wie später Händel warteten im Herbst 1989 Kreisstaatsanwalt, Gerichtsdirektor, Polizeichef, Parteichefs, also überwiegend die Exekutiven auf den Ausgang der Wende und meinten sie wären des Teufels gewesen, wenn sie gehandelt hätten. Wen interessierten schon die zu Recht oder Unrecht Eingesperrten oder die Opfer von Korruption, Gewächshausprivatisierern, Wohnungsschiebern, Betriebsverkäufern, Parteikassenverkostern der SED- Kreisleitung? Letztere hatten die Parteibeiträge in die eigene Tasche gewirtschaftet und wurden als Parteisekretäre in die Produktion weggelobt.

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