3.14. Nette Leute?

3.14. Nette Leute?

Reingelegt? Aufgesessen? „Wir“, sagte Peo, „blieben trotzdem als Partner sachlich und immer daran denkend, dass die, welche die Neuen sicher auf Befehl gemeuchelt hätten, auch weiterhin die künftigen Mitbürger sind“. Nicht umsonst stellten sich Lehrer vor die Kinder, deren Eltern bekannte hauptamtliche und damit öffentlich bekannte Mitarbeiter der Staatssicherheit waren, die nun gehänselt oder angegriffen wurden.
Deshalb ließ Peo es sich nicht nehmen, am 20. Dezember 1989 in der in dieser Zeit noch unparteiischen Lokalpresse unter der Überschrift „Nötige Einsicht zur Demokratie“ zu schreiben:

„Mitarbeiter der Nationalen Volksarmee, der Volkspolizei und Bürger, die einmal der Stasi angehörten, sehen sich zurzeit einem wachsenden Unmut durch die Bevölkerung ausgesetzt. Ist das gerecht und hilfreich? Ich meine, nein!
Sicher ist es richtig, mit gesundem Misstrauen alle Vorgänge zu beobachten und bei Unregelmäßigkeiten Protest einzulegen, demokratische Kontrollmechanismen auszulösen. Sicher ist es nicht richtig, menschliche Würde zu verlieren und die des anderen zu verletzen. Deshalb meine ich, dass im Prozess auf eine neue Zukunft jede Einsicht zur Demokratie als ein Baustein für das Fundament der eigenen und gesellschaftlichen Existenz zu betrachten ist, dem Abbau der inneren Spannungen dient.
Konkret meine ich, polizeiliche Aktionen sind nicht mehr als Provokation zu betrachten. Angehörige der Volksarmee sind noch notwendig und dienen unter neuen Aspekten unseren Bürgern, ehemalige Stasi-Mitarbeiter sollten in unseren Arbeitskollektiven aufgenommen werden, denn nicht nur Helden können die Zukunft gestalten, sondern auch die Menschen, welche in der Vergangenheit Fehler gemacht haben. Jetzt sollten wir mit ihnen reden und ihre Ängste abbauen, ihre Kinder nicht drangsalieren und angreifen.
Die Verletzung der menschlichen Würde war groß. Aber Wahrheit und Liebe sind stärker als Lüge und Hass“.

Später kamen Peo oft Bedenken, ob diese Worte nicht zu mild waren. Er hatte nicht gelitten, aber wie war „Das Leben der Anderen“? Wurde nicht der Christ und Humanist Studienrat Frank Thomas Gericke von Demagogen, Mitgliedern des Lehrkörpers, dem er angehörte, geschunden und reglementiert? Ja. Durfte Uta Padberg, die begnadete Fremdsprachenlehrerin, theoretische Sprachkenntnisse „in praxi“ erproben? Nein. Durfte etwa Friedhelm Hirsch, der strenge Physiker und Mathematiker, ungefährdet Versuche zur reformierten Oberstufe unternehmen und damit die sozialistische Begabtentheorie anzweifeln? Nein.

Erst im Jahre 2007 erfuhr Peo von der westlich der Kleinstadt an einem Berg lebenden fleißigen Bäckersfamilie. Nur weil diese Betriebs- und Grundbesitz hatte und der neuen Macht nach dem Weltkrieg nicht überdimensionale Schlechtigkeiten zutraute, blieb sie der Heimat und ihren Kunden treu.
Sie widerstand der Verlockung, Wohlstandsflüchtling zu werden. Welch ein Fehlverhalten. Die Gier der nun Herrschenden, gepaart mit Neid und Denunziantentum brachte die Bäckersleute für Jahre in die Zuchthäuser. Die kleine blonde Tochter schrammte gerade so an der Einweisung in ein umerziehendes Kinderheim vorbei. Und sie schaffte trotz des Makels den beruflichen Weg über die Helferin zur Ärztin.

Galt nicht auch in der untergegangenen Gesellschaft. „Wenn ich etwas will, finde ich Wege. Wenn ich etwas nicht will, finde ich Gründe“. Wenn alle nicht gewollt hätten, wäre vieles nicht passiert. Liegt darin nicht auch der Brechtsche Gedanke vom Krieg, in den keiner geht?

Persönlich hat Peo dann Lüge und Hass nach der Wende erst so richtig erlebt und beobachtet.

Es war einmal ein Tag des „Offenen Gartens“. Viele nette Leute trafen sich, nahmen einen Schluck Kaffee dankend entgegen. Das gefiel dem genetischen Nachfolger Napoleons, der 1994 mit der Hand im Jackett und aus der Nähe eines Möchtegernkurortes stammend, nicht und bald fiel Peo auf, dass eine Mutter und ihr Kind den locker verabredeten Besuch einstellten, sicher erschreckt worden durch Schilderungen des Gatten. Dieser, ein geistig Jungerwachsener geblieben, arbeitete erfolgreich an einer politischen Karriere mit kleinen Schritten und erinnerte sich wahrscheinlich an ein christliches Gebot, welches Strafen bis ins dritte und vierte Glied vorsah. Auch konnte er unmöglich seinen Mandatsvater, den mit dem roten Käppchen, einen Kontakt mit Peo erklären, auch wenn dieser nur über Blumen, die Sprache des Herzens, entstanden wäre. Hängen auch andere Gläubige mit drin, welche den Tag organisierten? Alles eine Klientel? Aber nein, das gibt es nur im Sternbild der Waage.

Auch ein kräftiger und erfolgreicher Mann, Vorsteher eines echten Kurortes, gesegnet mit mineralischen Quellen und einem Unternehmer, der so manchen Steuergroschen und Arbeitsplatz aus einer Plüschquelle sprudeln ließ, weil er eine Nase dafür hatte, bekam den Ehrgeiz des Jungerwachsenen und Käppchenzöglings zu spüren. Leserbriefe in der Sternenpresse beklagten sein Handeln mit Ausdrücken wie „Erpressung, weil die Argumente ausgehen“, wie „Angst vor dem möglichen Zusammenbruch einer Verwaltungsgemeinschaft“, wie „Kleine Schritte in der politischen Karriere“, wie „Das ist Nötigung des mündigen Bürgers“.

Was denn nun? Zieht hier plötzlich in die Ortspresse das offene Wort, das offene politische Streitgespräch ein? Oder hat die rötlichflammend behauptete Schutzgöttin der Schwarzen Urlaub? War der Jungerwachsene vielleicht schon zu tüchtig und wurde Konkurrent? Gefiel jemand sein erster Rang in der Wahlstimmenstatistik nicht?

Den Lesern ist sicher bekannt, dass man schnell in Verruf kommen kann.

Beispiel 1: Ein Brief an Peo mit dem Stempel der Gauckbehörde, mit BStU- Außenstelle, landet im Juli zweitausendfünf einige Briefkästen weiter. Der Empfänger trat ganz aufgeregt und mit den Armen unauffällig wedelnd, scharf um sich schauend und dann flüsternd an Peo heran und übergab nicht sich, sondern den Brief. Nahm er an, jetzt wird Peo überführt? Ist Peo nun ein Geheimer?

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