4.4. Wege um und in die Kaderschmiede

4.4. Wege um und in die Kaderschmiede

Sehr vielseitig wurden die Stifte in die Verantwortung genommen. Mit dem ersten Kettenschlepper IFA-Pionier KS-60 zog schwere Technik ein, die dem einzigen auf dem großen Gut vorhandenen vierziger Lanz-Bulldog hilfreich zur Seite stand und von uns Stiften ganze Nächte zum Pflügen zwischen Eisenbahndamm gesteuert werden durfte.

Der erste Herbst 1952 sah die Lehrlinge Zuckerrüben heben, gleich unterhalb des Köppelberges und kurz vor den Toren Bad Kösens. Als Helfer traten die in Blau gekleideten Kasernierten aus der Napola, später Kadette genannt, an. Im zweiten Sommer seiner Lehrzeit, also 1954 stand als Nachfrucht auf derselben Fläche die Hopfenanlage, mit Fechsern (Stecklingen) aus dem Vorjahr bestückt. Jetzt hieß es tagelang, die Kletterdrähte mit langen Stangen am Kopfseil der Anlage anheften. Wie nach dem Reiten mit den Oberschenkelmuskeln dauerte es eine Weile, bis der Nackenmuskel sich wieder normalisiert hatte.
Heute, am 18. April im Jahr 2008, wo sind die Zeiten hin, werden am Köppelberg auf zweieinhalb Hektar elftausendneunhundert Stöcke aufgerebt, mit Elbling und Weißburgunder. Schaut man einmal kurz von dieser Arbeit auf und blickt zur Windlücke, ist noch etwas nach Rechts gerückt ein auffallendes Viereck im Höhenzug erkennbar, ein ehemaliger Weinberg. In ihm wurde so manche Weintraube, der Fachmann nennt sie eher Weinrispe, von den Lehrlingen verkonsumiert. Dieser Weinberg und seine Geschichte wäre ein dankbares Thema für die Nachwuchsakademiker aus der Landessschule.

Der Vater eines Treckerfahrers, Edschu genannt, starb 1953. Vier Lehrlinge, einer davon war Peo, trugen ihn, schon aufgebahrt, in die Pfortenser Kirche, während Schüler eine Glocke läuteten. Kann sich jemand vorstellen, wie sehr Peo später der Verfall dieser geistlichen Stätte bis zur Wende berührte, auch wenn seine einmalige Begegnung mit dem Gemäuer nur kurz war? Wie viel Zorn sich aufstaute?

Auch der zweite berufliche Abschnitt, der offizielle Weg über eine Bewerbung zu einer Fachschule für Landwirtschaft nahe Zeitz mit dem Kfz-Nachwendezeichen ZZ war am Ende der Lehrzeit gesperrt. Die helfende Hand war seine Internatserzieherin, eine moderne sehr junge Frau, welche die Lehrlinge mit Folgsamkeit und gutem Benehmen umwarben, deren Mann, ein Weißenfelser Geschäftsmann Tischer, für Peo Monate nach dem Bewerbungsschluss eine Lücke in einer Thüringer Fachschule fand. Eine seiner schönsten Lebenszeiten war damit beendet. Allen Jugendlichen von heute wünschte Peo, diese Fürsorge, Versorgung und Gemeinschaft bei Schwerstarbeit in den Ställen und auf den Feldern nahe der Kleinstadt, gleich neben einer berühmten Bildungsanstalt.

„Es war doch nicht alles schlecht“ in der untergegangenen Republik? Für den Leser sei hier gleich einmal gesagt, dass der Eindruck, gleich an welcher Stelle dieser Seiten er entsteht, hiermit aufgehoben wird. Alles, was angeblich nicht schlecht war und immer mehr im Nebel der Vergangenheit geschönt wird diente gnadenlos dem unmoralischen und mörderischen Systemanspruch.
Das täglich als angenehm empfundene Lebensgefühl, Arbeit zu haben, die Kinder gut behütet und beschult zu wissen, ohne Kassenzwänge und Arbeitgeberallüren den Arzt aufsuchen zu können, Urlaub nehmen zu dürfen war extrem schön und wurde selten von der Sorge um die finanzielle Existenz des Staates überschattet.

Was die befürsorgten und versorgten werktätigen Lehrlinge nicht erfuhren, geschah nebenan. Dort wurden erfahrene Lehrkräfte politisiert, Unfolgsame diskreditiert. Aus der berühmten Lehranstalt, von Klopstock, Kant und Nietzsche besucht, wurde eine sozialistische Kaderschmiede. In der regierte der Parteisekretär. Er verfolgte Mitglieder der Jungen Gemeinde, eine christliche Jugendgruppe. Er fragte in Abiturprüfungen, losgelöst vom Lehrinhalt des Faches Biologie nach Reichweiten der im Osten gebauten Raketen, einzusetzen gegen den Klassenfeind und erteilte dem Überfragten ungenügend. Er und auch so mancher Geograph, nach der Wende ein Kreistagsmandatsbewerber im Kurort Bad Kösen waren der Meinung, dass Bewerber zum Medizinstudium Klassenfeinde sind, welche sich der Berufsoffizierslaufbahn nur entziehen wollen.

Warum laden die heutigen Landesschüler nicht einmal die ehemaligen Leuchttürme der sozialistischen Pädagogik, aus den Archiven leicht zu ermitteln, zu Vorträgen ein, um deren damalige Motivation zu verstehen? Wollen die Satten eigentlich noch wissen, was die Vorgänger erleiden mussten? Wie deren jugendlicher Stolz gebrochen wurde? Was deren Eltern gelitten haben? Forscht nach der Pforteschülerin Anja Treichel und lasst euch berichten. „Die Aufarbeitung der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik und ihrer Sünden ist in den Schulen äußerst mangelhaft“ beklagten Teilnehmer einer Veranstaltung der BStU (Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik) Außenstelle Halle in Naumburg am sechsten Dezember des Jahres siebzehn nach der Wende. „Die Lehrerschaft genieße mit heiklen Themen nicht ausreichend Rechtssicherheit und Schutz“ so der Tenor aus dem Publikum. Zu diesem Thema fand sich die Presse nicht ein. So wundert sich keiner mehr, wenn die Abonnentenzahlen eines Blattes schrumpfen, welches die Seiten lieber mit Karneval, mit Ehemaligen und verluderten Sängerinnen füllt, als mit tieferen regionalen Zusammenhängen.

Das auf dem Mond lebende Ministerium für Gelenkfunktionen, Förderschwachsinn, Lernzeitverlängerung (man hatte es dorthin gelegt, um Schlimmeres zu verhindern) müsste natürlich auf dem durch die Verlegung entstandenen Umweg für Bürgernähe langfristig einbezogen werden und die Kommunikation zu den auf dem Hallplaneten sitzenden Ämtern erst herstellen, denn seine Kompetenzen wurden ihm nicht genommen. Das sind dann die wahren Sternstunden der Bürokratie. Sollten Erdenbewohner meinen, auf ihr, der Erde, passiere Ähnliches, sollten sie den Glauben an das Gute nicht verlieren.

Wollt ihr hören, was Peo erlebte, als ein beliebtes Volksfest unter früchtetragenden Kirschbäumen anstand? Wie der Arm des Mandatsträgers Händel über einen Minister in die Verwaltung eingriff, Dienstrecht gebrochen wurde und sogar der Versuch unternommen wurde, Peo aus dem Dienst zu entfernen? Das wird noch ein Beispiel aus dem politischen Tollhaus in Kapitel 2.
Nur soviel: Händel stellte sich auf den Markt und verkündete vor hunderten Schülern und Eltern über Lautsprecher: „Der Schulrat will das Kinderfest am Kirschfestfreitag verbieten“. Prompt gab diese Mär die Presse weiter. Geglaubt hat das wohl niemand, aber ein scharfer Schuss zur Verunglimpfung des Konkurrenten war wieder einmal abgegeben. Nicht mitgeteilt wurde durch die Presse: „Der Bürgermeister der Stadt hat selbstherrlich den Freitag für schulfrei erklärt, der zuständigen Schulbehörde keine Gelegenheit gegeben, wichtige Fragen der Schüler- und Lehrerversicherung so zu regeln, dass böse Überraschungen ausblieben“.

„War es wieder der Versuch, das Gold und das Lachen aus dem Herz der Redlichen in Schlamm und verbissene Ergebung zu verwandeln?“.

Es muss nun aber auch einmal gesagt werden:

Nirgendwo auf der Welt lebt es sich für den Durchschnittsbürger so gut, wie in dem zusammengelegten Staatsgebilde mit seinem sozialen Netz, mit seinen wechselnden Jahrszeiten, trotz ständig wechselnder föderaler Zuständigkeiten. Diese Aussage galt zur Zeit des Entstehens dieser Zeilen. Schaut sie euch an, die Renovierten, die Neuerbauten, die sozialen Möglichkeiten, die mit Kundenscharen überfüllten Einkaufsmärkte am Rande der Stadt, die kulturellen Angebote und vergleicht. Sucht nach den Bildern des fotografierenden Gunter, der an jeder Ecke des Umzugs der Empörten und Wagemutigen Heineck-te (eine Umschreibung für sachliche Zeitzeugenfotografie) oder beschafft diese euch und dann erinnert euch! Wie sah es aus, wie sieht es aus!

Peo denkt noch mit Schrecken daran, dass seine Frau fast um ihr Leben kam, als beim Stadtbummel neben ihr in der Wenzelsgasse, einer Gasse nahe des Holzmarktes, so um 1980 ein Haus aus heiterem Himmel zusammenbrach.

Im Nachbarhaus der Wenzelsgasse Nummer 11 wohnten die schulpflichtigen Seifarthmädchen Kerstin, Anke, Sandra mit Bruder Maik und den Eltern. Heute, am 11. Januar 2008 steht das Haus immer noch, allerdings mit Marken versehen, welche dem Eigentümer Veränderungen der Standfestigkeit mitteilen. Die Kinder waren Schulkameraden von Rene, dem Schulstraßenbewohner. Sechs auf einen Streich? Nur gut, ihr Haus war stabiler.
Heute sind sie in der Heimatstadt gebliebene junge Mütter und Väter, mit Arbeit versorgte Einwohner, wie Heike und Margrit in der Agrargenossenschaft, wie Kathrin auf dem Ökohof, wie Mirian in der Schweitzerschule und Anke in der Siedlung am Spechsard, wie des Schmiedemeisters Töchterlein Kerstin und seine Söhne, nun schon stolze Väter.

Und in diesem Wohlstand nicht vergessen: Heute spricht man vom gläsernen Staatsbürger. Na und? Dagegen revoltieren doch nur die, welche Dreck am Stecken, sprich Korruptionsschleier und Amtsmißbrauchsschlieren an den gläsernen Organen haben, wie zum Beispiel ein Typ aus der Wasserwirtschaft einer ehemaligen Bezirkshauptstadt Thüringens, immer nur nuschelnd und wie der ehemalige Staatsratsvorsitzende wirkend. Der hatte Genehmigungen zu erteilen und nahm Geschenke an. Ohne einen guten Rechtsanwalt wäre die Anklage des Staatsanwaltes wegen Bestechlichkeit sicher nicht gut ausgegangen.
Der Charakter bricht doch irgendwie immer wieder durch, auch als Schwager, der er war. Zunächst verteufelte er seine eigene Familie, dann Mitglieder der angeheirateten Familie, welche nach siebzig Jahren der Brüderlichkeit nun im Baumarkt aneinander vorbeigehen. So etwas bringen wohl nur durch die DDR geformte Bürger fertig. Alles war gut?
Auch werden heute nicht einfach Frauen, Männer, Jugendliche, wie Peos unmittelbare frisch verheiratete noch jugendliche Nachbarin, um 1980 abgeholt und zu sieben Jahren Zuchthaus verdonnert, weil das junge Paar über die Grenze verreisen wollte.
Misstrauen ist aber auch heute angesagt. Den Regierenden läuft das Ruder aus der Hand. Konzerne handeln nach Lust und Laune, die Ordnung im Land schmilzt dahin. Die Legislative opfert dem Steine werfenden Pöbel die uniformierte Exekutive, ein Thema für sich.

Ach ja, ich vergaß: Ist das alles nur ein Traum? Und die Schule? Gibt es die nur in seiner Phantasie?

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