5.1. Erster Lauf

5.1. Erster Lauf

Es war ja nur eine Frage der Zeit, dass Händel einfiel, sich mit Gleichgesinnten aus Parteien und Ministerien zu verbünden und bald in der Öffentlichkeit den Eindruck durch seine Vasallen entstehen ließ, er und nur er sei bedeutsam und somit berechtigt, den Dicken aus dem Kurort, die Schule lag in dessen Territorium, zu verdrängen, was ihm im Raum Schönburg-Possenhain einfach nicht gelang. Später ging diese Untertanenmentalität so weit, dass ein schwarzer Romanischer aus Bad Kösen nachfragte, wann denn die Bildung endlich diesen Peo loswerde. So gesehen wurde er zum Kometen mit dem Schweif hinter sich. Dieser füllte sich schnell und gut organisiert mit Individuen, denen er Genüsse versprach, welche die Freuden zwischen sich liebenden Geschlechtern bei Weitem überbieten. So hört, tönte er: „Bürgersinn den Bürgern. Ich aber bin euer Götze. Wer sich anpasst wird mein Jünger. Wer mich anbetet wird mein Prophet“.
Häppchen seiner Macht wurden verteilt und versprochen, dienten demagogischen und vollzugslüsternen Charakteren zur geistigen Ejakulation. Diese schossen auf wehrlose Türmerinnen, sperrten in ahnungslosen Gremien, später im Liegenschafts- und Wirtschaftsförderamt mit einem Sesselchen belohnt, die Ohren auf, liefen 1994 mit parteizugehörigen Ehefrauen bei Wahlveranstaltungen von Tisch zu Tisch und bemerkten nicht, dass sie unterhalb der Gürtellinie schon allem verlustig geworden waren, sie - als Opfer eines Kastrators funktionierend, einem irreversiblen Vorgang aufgesessen. Noch heute sind Elemente aus diesem Kometenschweif an ihren teils hohen, teils kratzigen Stimmlagen zu erkennen.

Weshalb eigentlich nur diese geistige Amputation? Nun, es muss so gewesen sein, denn wie im Schweinestall konnte es nicht ablaufen.

Peo, als Lehrling auch bei den rosaroten Säugetieren in einem Stall, welcher 2008 nur noch als Rudiment dasteht, Dienst schiebend, bekam als Lerneinheit auch das Kastrieren beigebracht. Den ganz kleinen unschuldigen Ferkelchen, den Frischlingen, wurden mit einem gekonnten Griff, der Lehrling auf einem Hocker sitzend, der Stallmeister hinter ihm stehend und Anweisung gebend, die Hinterläufe gespreizt. Mittels eines Skalpells einen kleinen Einschnitt ziehend wurden die kleinen mehr ovalen als runden Körperdrüsen herausgedrückt und, nochmals ein Schnitt, entfernt. Etwas Jod zum Abschied und zurück ging es zu Mama Sau.

Der Vater Schwein, wie heißt der eigentlich, wusste nichts vom Leidensweg seiner Jungs.
Übrigens: Eine Schülerin der dritten Klasse nannte im heimatkundlichen Unterricht, nachdem man bei den Rindern Kalb, Kuh, Bulle erarbeitet hatte, den Vater in der Familie von Ferkel und Sau Toppsau. Welche Umgangssprache wird wohl zu Hause gepflegt, wenn ein Vater so benannt wird?

Also so, wie im Stall, konnte es im Kometenschweif nicht zugegangen sein. Und ein wenig Jod wurde auch nicht gebraucht. Es fehlte zu dessen Verwendung der kleine Einschnitt.
Dafür gab es in Fläschchenform einen mundigen Rotwein, sicher keinen „Les Terrasses“ aus Priorato, hinter vorgehaltener Hand „Kastratentrunk“ genannt. Den sah man im Beisein der wissenden und unwissenden Opfer oft im Glas funkelnd hinüber gereicht. Was man nicht sah, aber als Wirkung bald erkannte, war die Ablagerung der Inhaltsstoffe in den wesentlichen Gehirnregionen, gegen Redlichkeit und Bürgersinn steuernd, sowie sekundär und nicht immer auftretend das leicht tränende Auge, der leicht hervorquellende Augapfel.
Der Verursacher soll nun, nicht mehr dienstlich gefordert, mit Spätfolgen kämpfen und vom edlen Tropfen nicht lassen können. Wer hinter im geht hört ein ständiges Palavern und sieht die dazu gestikulierenden Vorderläufe, wie Flügel schwenkend. Auch auf dem Fahrrad oder hinter dem Kinderwagen macht er keine gute Figur.

So wird es droben erzählt. Lacht da wer? Alles nur ein Traum.

Und die nächste Zielgruppe wurde anvisiert.

In Ehren alt werden? Gott bewahre. Die DOM-Herren (für welche Peo einmal die Mitgliedschaft angeboten wurde und welche er dankend ausschlug), Bruderschaften und Fördergesellschaften, vorgesehene Kandidaten für einen Orden sind doch ein zu leckerer Braten. Dort kann man auch immer noch öffentliche Person ohne Mandat bzw. Staatsfunktion sein. Im Oberlandesgericht bekam er keinen Fuß in die Tür. Der erste Chef ignorierte ihn, die Nachfolge zeigte sich versöhnlicher und der dritte schwankt noch, folgte er doch auf Händels Wirken hin in der Leitungsgalerie.
Tja, Herr Präsident. Wie würdigt man nun eine Person, welche die Berufskarriere weniger hoch spülte, welche aber die Gunst der politischen Intrige genoss? Die Frage steht auch noch 2011.

So bleiben die verstorbenen Pianisten, Maler, Tanzlehrerinnen und deren Ballkleider, in welchen man sich Händel gut vorstellen kann, skrofulös verstorbene Philosophen, deren „raffinierteste Geistigkeit durchaus geehrt werden sollte“, Objekte der Selbstdarstellung.

„Der Mangel an Person, an wahrer Persönlichkeit, rächt sich doch nun überall“ sagt ausgerechnet Friedrich Nietzsche. Sieh da, der Philosoph Friedrich Nietzsche hat also auch hierfür, auch für Händel, eine Zeile geschaffen.

Da halfen auch Versuche nicht, an blaues Blut heran zu kommen. Im Jahre 1993 musste ein Graf her. Die Kameradschaft im Plenum stimmte der Bewerbung zu. Es klang doch schön, wenn der Verwaltungschef als ein auf einem Bauernhof geborener Pupser vor Publikum von sich gab: „Graf, machen sie mal eine Aufstellung über unser regionales Kulturgut“. Und der junge Graf ließ sich scheuchen. Der Stil hat sich wohl nicht bewährt. Der Graf entschwand in Richtung Erlangen. Ob er dort auch als Meisterleistung öffentlich Kartoffeln schälen muss? Was nun? Ersatz bot sich bald an. Im Namen des Herrn in eine Bruderschaft hinein geschlichen, in eine andere Bruderschaft musste er sich hinein saufen, kann er sich wieder als Blaukittel in gräflicher Aura lümmeln, darf man sich angesichts der Presseberichte im Jahr 18 n. d. Wende denken.
Lümmeln? Nun ja, im Alter Jeans so zu tragen, dass sie die Figur betonen ist nicht leicht. Sie zwingen zu einer körperfeindlichen Sitzhaltung. So sieht man Händel, egal wo, sitzen. Das Becken vorgeschoben, der Oberkörper schräg. Hier trifft voll ein Anti-Jeans-Spruch des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend, der Jugendorganisation der Deutschen Demokratischen Republik, zu: „Enge Jeans- krümmen Teens“. Ein Frühschaden also.

Die hohe Gerichtsbarkeit, auf einem Berg thronend und weit in das Land hinaus mahnend, auf der Erde nennt man das ein Oberlandesgericht, spielte auch in Peos Leben, wenn auch nur mittelbar, eine begleitende Rolle.
Seit 1969 ruht Peos erster täglicher Blick von seinem Balkon aus unterhalb eines Birkenwäldchens darauf und erinnert ihn an alte Zeiten, an die Abenteuer im Seufzer, einem Grünstreifen unterhalb des OLG, und in den Moritzwiesen.
Im Haus Georgenberg 5 wohnend gab es in der Nachkriegszeit für Kinder viel zu erleben. Am 12. April 1945 kamen fremde Soldaten über Bad Kösen nach Naumburg. Diese waren motorisiert. Am Steuer eines offenen Jeeps saß ein schwarzer Mann mit großen weißen Zähnen, der zu uns hoch in die Mansarde winkte und im Autositz zurückgelehnt mit den Füßen im Lenkrad steuerte. Hinter ihm waren Schützen postiert, welche auf den Rücklehnen thronten. Als am 30. Juni 1945 in der amerikanischen Kommandantur in Bad Kösen die Flagge eingezogen wurde und die Truppen abmarschierten, erschienen die Soldaten der Roten Armee mit Pferd und Wagen. Die Besatzungszeit begann und endete mit dem Abzug der Sowjetischen Armee erst 1992. Im Georgenberg 6 zogen also 1945 Offiziersfamilien ein, deren Kinder mit großen Weißbrotschnitten, belegt mit Butter und bestreut mit Zucker, die Straße bevölkerten. Es sei ihnen gegönnt. Sie hatten es bestimmt nicht leicht, im Tross bis nach Naumburg zu kommen.
Zurück zu bergauf: Bergauf zum Gericht und linksseitig standen drei typische Häuser mit zwei bis drei Etagen. In einem davon mit der Adresse Domplatz Nummer vier, wohnte die Mutter mit vier Kindern, die aus Ostpreußen. Zwischen dem Haus bergab, heute ein Bildungszentrum mit einem Lokal und der Nummer 4 war ein kleiner Hof, umgeben von einer fast einen halben Meter hohen Mauer und einem gleich hohen Holzzaun darauf. Eine kleine Nebentreppe führte von der Straße hinein. Die von der Straße aus gesehen linke Hauswand zierte eine hölzerne und hölzern umbaute Treppe, welche auf einen rund um das Haus verlaufenden Rundgang, verglast und überdacht, führte, den Blick wieder in Besatzungsareale erlaubend, in welchen sich Ziegen und Rehwild herumtreiben durften, bis nun, 50 Jahre später, diese vom staatsanwaltschaftlichem Personal abgelöst wurden. Darin und im Hof lebten die jüngeren Geschwister, einige Goldhamster und ein Fahrrad.

Ein kleiner Schwarm gemischter Halbwüchsiger mit Dietrich, dem Herzog darin, sondierte die Umgebung, tollte (nicht randalierte) in den Gärten hinter der Ägide. Das muss wohl den ausgeschlossenen kleinen Bruder Hans und seinen Freund, den Bäckerjungen Ebeling von der Dompredigergasse, mächtig genervt haben. So zogen die beiden, mit einer Axt bewaffnet, in Richtung Sachsenholz, um Wildschweine zu erlegen. Sie wurden jedoch vor ihrem Jagdglück zu nächtlicher Stunde aufgestöbert und, von den Müttern geherzt, in die Arme geschlossen.

Als dann die Sieger, die nun auch ihren Weg gefunden hatten, sich dort auf dem Berg einrichteten, verschwand erst einmal ein Gebäude. Es entstand ein Turnplatz für knackige Jungs mit kyrillischen Stimmbändern. Fotos zeigen Peo, wie er mit den Geschwistern, einem Fahrrad und den Goldhamstern friedlich neben der Militärgewalt spielte. Auch sieht man die Großmutter, von den Patienten des Großvaters achtungsvoll mit Frau Doktor tituliert, am Arm die kleine Schwester, im Hintergrund das 35 jährige Oberlandesgericht, bergab in die Stadt gehen.

Später folgten weitere Gebäude dem Freiheitsstreben der Besatzungssoldaten auf dem Berg mit der Straßenbezeichnung Domplatz. Dafür entstanden große Tore mit goldenen Sternen, von welchen sich Kinder und gutgläubige Erwachsene goldene Zeiten versprachen.

Noch in gutem Zustand und bewacht von einer kleinen, resoluten Klofrau schafften es auch die Soldaten nicht, in der unterirdischen Bedürfnisanstalt am Fuß des Weges zum OLG Schaden anzurichten.
Das gelang erst Händel und seinem Stadtrat so gründlich, dass auch heute noch keine Möglichkeit besteht, an diesem Ort mit dem körperlichen Bedürfnis etwas zur Auslastung der überdimensionierten Kläranlagen vor der Stadt, einer weiteren Großtat des Kastrators, beizutragen.

Zu den Räumen der späteren Kirchlichen Hochschule, heute in 2008 wird dort fleißig Chormusik zum Wohle der städtischen Kultur im Haus mit der Nummer 8 geübt, gehörte auch ein ebenerdiges Kellergewölbe mit einer Ecke zur Ägidiengasse, aus dessen Luftschlitzen sich gut die Verbrüderungen der Militärs mit der aufgeschlossenen deutschen Weiblichkeit durch die Zwölfjährigen beobachten ließen. In diesem Gewölbe, als Kellerraum und gesicherter Raum für Dummheiten der Vierzehnjährigen bestens geeignet, herrschte ein Herzog Dietrich (bürgerlich Dietrich Herzog) mit seiner jüngeren Schwester Gisela und seinen Kumpanen Buffi und Peo.

Hin und wieder begegneten sie dabei auch den Töchtern des Domkantors Haacke, welche als Kontakt aber nur Bewunderung aus der Ferne zuließen. Das Orgelspiel des Herrn Papa im nahe liegenden Dom schwebte immer und unüberhörbar mahnend über ihnen. Herumtreiben, raufen, schäkern war nicht angemessen.

Am elften September 2007 meldete die heimatliche Presse, dass dieser Raum einst die Domherrenkapelle im 13. Jahrhundert war und zur Ägidienkurie gehörend in die Straße der Romanik als wichtiges Baudenkmal aufgenommen wurde. Nun stand nicht mehr der „Herzog mit seinen Kumpanen“ im Mittelpunkt des Geschehens, sondern ein echter Graf mit Minister, Landrat und Landtagsvertreter, welcher das Romanik- Schild entgegen nahm.

Wie sich doch so Kreise schließen. Während Peo als Kind in den Räumen der Kurie, genutzt als Wohnraum, mit seinem Freund Herzog spielte, saß er rund vierzig Jahre später im Herbst des Jahres 1989 mit den klugen Köpfen einer kirchlichen Hochschule zusammen, um Kriterien für die Bewerber an Gymnasien zu erarbeiten. Und im Jahre Zweitausendsieben, dem neunzigsten Jahrestag des Oberlandesgerichtes erlaubte Peo sich einen Rundgang durch die Flure und offenen Räume vom Keller bis zum Boden als Ersatz für Ähnliches in einem Gymnasium, welches eine Einladung zum „Tag der offenen Tür“ wohl scheut.

Und noch etwas: Zwölf Jahre später nach dem Einmarsch der Sieger, also 1957, schrieb eine Kaffeefreundin der Großeltern, eine ehemalige Mitarbeiterin der Oberlandesgerichtsbarkeit, in der Zeit vor dem Kriegsende dort tätig, ein Fräulein Blume, so hießen früher noch mit Respekt auch ältere Damen, fehlerfrei, was er nie geschafft hätte, Peos Examensarbeit. Darin ging es um die Ertragssteigerung durch bodengerechte Düngung nach Analysen der Bodenproben in den landwirtschaftlichen Fluren rund um Stadtroda (eine kleine Thüringer Stadt). Diese benötigte er für den Abschluss „Staatlich geprüfter Landwirt“. Der Abschluss 1957 nach einem dreijährigen Zwischenspiel in Stadtroda an der Roda, wie sich später noch herausstellen wird.

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