3.9. Früchte und Lorbeeren
Händel, bald der Kastrator genannt, in der Stunde der Wahl des neuen Landrates, also in der Stunde der beantragten Auszeit im Jahr 1992, in der ersten Reihe der Zuschauer sitzend, musste wohl oder übel zugeben, dass er an den Wahlsieg der schwarz – gelben Koalition nicht geglaubt habe. Ob ihn der Wahlsieg seiner Partei glücklicher machte, als die Niederlage der Fraktion mit Peo als Fraktionschef? Wohl nicht. Noch heute sieht man sogar durch die Autoscheibe seine Kinnladen fallen, wenn er Peos ansichtig wird. Dabei war Peo sein Königsmacher.
Die von Peo mit Hochachtung ob ihrer Beredtheit, messerscharfen Analysen der Wendesituation, sinnigen Bruderdispute und Debatten bis spät in die Nächte betrachteten Doktoren und Professoren, die nach Freiheit und Demokratie strebenden praktizierenden Christen waren plötzlich nicht mehr erreichbar, denn sie entschieden sich in Teilen für rot und suchten sichere Lebensräume, übernahmen Aufgaben, wurden versetzt.
Sie durchschauten auch durch ihre Hochschuldispute, ihre Kontakte zu Erfahrungen der in der westlichen Demokratie Lebenden, nicht getrübt durch idealisierte Erwartungshaltungen, was da an menschlichen Qualitäten auf den Osten zukam, wussten wahrscheinlich, dass Menschen mit tiefem christlichen Glauben selten oder nicht daherkommen, um Karriere zu machen. Dabei hatte er, der aus dem Ländle kam, doch durchaus Gelegenheit, sich in seiner westlichen Lebenszeit an Beispielen zu orientieren. Gab es nicht einen erst im Jahr 2006 verstorbenen Präsidenten, welcher auf die Menschen zuging, zuhörte, glättete, vermittelte, vereinte? Einen gleichgesinnten Nachfolger, der auch jetzt noch durch seine Vorbildwirkung Nachdenklichkeit erwecken müsste? Nix da. Der Charakter gierte nach Absolutismus. Ob Landtag oder Straßenbahnfeier, ob Sakralherrlichkeit oder Landesjob - es galt die absolute Infiltration, ähnlich der einer Trichine. Die Leute der Trambahn, welche genau wissen, wer diese ruiniert hat, wer mit undemokratischer Dreistigkeit die Gleise entfernen oder zuteeren ließ, nahmen in als Ehrengast in ihrer Mitte auf. Die Straßenbahn GmbH erwartete vom Oberbürgermeister ein politisches Bekenntnis und bekam als Ersatz für dieses hoffnungsvolle Ausharren ausgerissene Schienen und beseitigtes Zubehör.
Am 1. Juli 1997 zitierte die Regionalpresse das Dilemma. Zitat: „Am Ende bleibt die kleinstädtische Straßenbahn auf der Strecke“. Sie blieb, bis uneigennützige Bürger im Verein einen modellartigen Fahrbetrieb wieder ermöglichten.
Im Jahr 2007 schreibt ein Leser, man solle den Stall ausmisten, denn auch der Nachfolger setzte auf den Absolutismus noch einen Zacken drauf, erzählt man. Später wird noch zu lesen sein, wie Einflussnahmen im Amt und aus dem Amt übel von der Öffentlichkeit registriert wurden aber nichts bewirkten.
Auch hier darf mit Ausnahmen aufgewartet werden. Da gibt es im Jahr 2007 doch noch einen in regionaloberster Position, der, obwohl für sieben Jahre gewählt und gesichert, schweißtreibend ackert, wie man der öffentlichen Berichterstattung entnehmen kann. Und gleichzeitig ist anzunehmen, dass er neben dem ihm zustehenden Salär sich sicher nicht be-Reiche-rn wird, hoffentlich parteilos bleibt.
Das wäre ja auch einmal interessant, wenn ein Landrat von sich gäbe, welchen Versuchungen er ausgesetzt war, welche Versucher ihn heimsuchten, wie er widerstand. Das geht nun aber leider nicht mehr, denn einer Versuchung wurde nicht widerstanden. „Der Bewerber um ein Ehrenamt eines kleinen Städtchens erhielt im Jahr 2008 Schützenhilfe durch den „Verwaltungschef und die ihn umwuchernde schwarze Fraktion“. Der Bewerber fiel nun erst recht durch. Der Bewerber, mit vielen lobenden Aufgaben gesegnet, wird weiter mit seinen Weinprinzessinnen in der Unstrut baden gehen bzw. die Temperatur erfühlen müssen und zwischen Daumen und Zeigefinger ausrufen: „Das Wasser war sooo kalt“.
Peo übrigens bekam gleich am Anfang seiner Karriere die Mitgliedschaft bei den Sakralherren unter den Türmen angeboten. Hätte er auf Teufel komm raus überall mitmachen sollen? Das Schutzschild Bauernpartei hatte er erlebt und dabei oft versucht, dem durch Austrittserklärungen zu entkommen. Der Austritt gelang erst nach der Wende, nach dem politischen Regimewechsel. Man stelle sich vor, Peo wäre als Mitglied der Bauernpartei von den Schwarzen, welche nach der Wende Mitglieder brauchten und die Bauernpartei schluckten, aufgenommen worden und dabei geblieben. Dann müsste er im Jahr 2007 Ehrungen für dreiundfünfzigjährige Mitgliedschaft über sich ergehen lassen, davon sechsunddreißig im rot-grün der alten Republik. Welch ein Schwindel. Man stelle sich vor, Peo wäre dem Antrag des Domdechanten gefolgt und Mitglied geworden. Dann müsste er sich vielleicht als 16- jähriger Blaukittel neben dem händelnden Neuzugang 2007 einreihen.
Beratung? Die akademischen Vorbilder entschieden sich für rot. Für Peo war rot zu nah an tiefrot. Sie entschieden sich für grün. Für Peo war grün zu nah an rot. Sie entschieden sich auch für Karriere. Alles nur Charakterschwäche oder eine Farce? Peo erinnerte sich noch gut daran, einen in der „Noch- Republik“ neu ernannten Professor gebeten zu haben, die Leitung einer berühmten Bildungsanstalt in unmittelbarer Nähe zu übernehmen. Die ihn entsetzende Antwort dem Sinn nach: „Ich möchte meinen Stuhl nicht verlassen und nun die Früchte meiner religiösen Studien ernten“. Dabei war schon klar, dass seine Studieneinrichtung abgewickelt wurde. Und weiter: „Mir ist diese Aufgabe auch zu unbequem“.
Nur einmal so ganz nebenbei bemerkt: Eine der ersten Forderungen dieser lauteren Leute war die Beseitigung der ehemals staatlichen Titel wie Oberlehrer, Studienrat, Medizinalrat und dergleichen mehr. Warum aber nahmen sie dann unter dem noch existierenden Regime die staatliche Ernennung zum Professor an? Bequemlichkeit?
Wenn das so ist, dann sollen auch die Pädagogen 1990 noch etwas alten Glitzer abbekommen. Beförderungen zum Oberlehrer, zur Oberlehrerin, wurden vergeben. Diesmal aber nicht an die Soldaten der vereinheitlichten Betonkopfpartei, sondern an die Übersehenen.
Jahre später stieß Peo auf diese Form der unchristlichen Bequemlichkeit nochmals. Die Religionsstunden der Gymnasien wurden weniger. Er erhielt einen Anruf und führte folgenden Dialog: „Hätten Sie für mich Stunden im Real- oder Hauptschulbildungsgang?“ „Nanu? Als ich Ihnen diese vor 2 Jahren beim Aufbau des Unterrichtes in allen Schulen anbot, lehnten Sie vehement ab“. „Na ja, in der Not frisst der Teufel Fliegen“.
Der Kirchendiener als Teufel und die Realschüler als minderwertige Fliegen? Der kommunistische Dichter Johannis R. Becher drückte sich deutlicher aus. Als er auf dem spanischen Plumpsklo saß und sich belästigt fühlte dichtete er „…und unter mir summten die Fliegen“.
Peo entschied sich als religionsloser Ost- Bürger im Mai 1990 für die Mitarbeit bei den christlichen Schwarzen, denn sein Aufnahmeantrag an die Rotdemokraten wurde nicht bearbeitet. Die waren mit Karriere beschäftigt. Er wollte aber, nun doch auf „Teufel komm raus“, Politik machen. Damit es aber auch zu einer Mitgliedschaft kam, bekam er Vieraugengespräche verpasst, in welchen ein einflussreicher Kirchenvertreter, der sehr gern in einem kleinen Nachbarort Roßbach Skat bei Korn und Bier spielte, unter Ausnutzung der Tatsache Peos ungefestigter Position und in unbewiesener Abstimmung mit seinen politischen Freunden, ein Durchreichen in Aussicht stellte.
Spätestens in den Fraktionsbündnissen gegen Schwarz zeigte sich deutlich, dass zu dieser Zeit ein einzelkämpfender Idealist nichts erreicht hätte, er sich wieder in eine Partei einbinden musste. Das geschah im April 1990. Ein geistlicher Bruder, welchem Peo sich anfangs politisch sehr verbunden fühlte, ging schon am 18. Januar 1990 zu den Rotdemokraten.