5.2.12. Die Wende in Naumburg

5.2.12. Die Wende in Naumburg

Bevor Peo meinte, sein Lied gesungen zu haben, trieben ihn noch der Glaube an die bessere Gesellschaft, die Unerfahrenheit und die starken Zweifel an der Moralität der bestehenden Deutschen Demokratischen Republik. Wie schon beschrieben, ergab sich aus der Begegnung mit dem Pfarrer Friedrich Schorlemmer sein weiterer Weg. Die Staatssicherheit und die Polizei beobachteten noch, griffen aber nicht mehr ein. Diese Zurückhaltung der Exekutiven war im September 1989 noch nicht bekannt. Nicht umsonst hielten sich noch viele ehrlich Bürger, aber auch lauernde Karrierefanatiker und Hemdenwechsler zurück. Wird weiter eingesperrt? Wird weiter geschossen?
Die Aktivisten der ersten Stunden vor der Wende und während der Wende machten weiter oder legten los.
Zunächst gab es noch verdeckte Treffen einer kleinen Gruppe aus allen neuen politischen Strömungen in den Privatwohnungen der Theodor-Körner-Straße, dem Freien Blick, dem Flemminger Weg. Später konnte im angemieteten Umweltladen in der Salzstraße schon hinter beleuchteten Scheiben getagt werden. Das geschah immer in den Abendstunden und ging oft über Mitternacht hinaus. Den Mauerfall erlebte Peo erst in der Wiederholung des Fernsehprogramms. Das Neue Forum plante und organisierte zusammen mit den späteren Mitgliedern der Naumburger SPD, dem Demokratischen Aufbruch, der Gruppe Demokratie jetzt und in den Anfängen auch mit der Bürgerbewegung Bad Kösen die ersten Demonstrationen, den Marsch zur Kadette in der Kösener Straße, die ersten Gespräche mit den Kadern und Funktionären der Noch-DDR, den Runden Tisch als politisches Forum, die Auflösung der Staatssicherheit. Das Neue Forum trat in der Presse auf, hielt öffentliche Foren, ging in die Betriebe, organisierte die Überprüfung der Abgeordneten auf ihre Vergangenheit hin.

Zu Peos persönlichem Erleben der Wende gibt es eine Vorgeschichte.
Er schrieb:
„Der Großvater hatte in Ostpreußen vor 1945 jüdische Mitbürger behandelt und ging haarscharf am KZ vorbei. Er landete in Naumburg und weihte mich in die Begriffe Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit ein. Mit 14 begann meine landwirtschaftliche Lehre und damit meine Möglichkeit, politisch aktiv zu werden. Ich wurde ein begeisterter DDR- Bürger und mit 16 Jahren Mitglied der Bauernpartei.
Drei Schlüsselerlebnisse polten mich um:Die erlebten Methoden zur Kollektivierung der Einzelbauern 1958 im Landkreis Grevesmühlen.Die politisch begründete Abberufung als Schulleiter im Landkreis Naumburg.Der Vorwurf durch meine Schulleitung, keine Lehrerpersönlichkeit zu sein 1985.Der Mut ehrlicher Christen, deren Kreise ihm verschlossen blieben“
Am Samstag, dem 7. Oktober 1989 läuteten die Bürger von Plauen mit ihrer öffentlichen Ansammlung die politische Wende in der DDR ein.

Am Samstag, dem 7. Oktober 1989 hob Honecker seine dürre Faust über das Stehpult und fistelte in höchster Erregung vom Sieg des Sozialismus in der „Deutschn Demokratschn Republik“. Als ich das später im Fernsehen sah, habe ich nicht gelacht, nicht geflucht sondern mir stieg das Blut vor Scham ins Gesicht.

Am Samstag, dem 7. Oktober 1989 hatte das Lehrerkollektiv der Jan-Hus-OS im Gebäude des jetzigen Domgymnasiums den Gründungstag der DDR zu feiern. Nach der Rede des Schulleiters und der einseitigen Würdigung der Genossen ergriff ich unangemeldet das Wort und tadelte die Unverschämtheit, den mehrheitlichen Rest des Kollegiums zu ignorieren. Eine Anwesende erhob sich sofort und ging unauffällig aus dem Raum, um über den Kreisschulrat die Staatssicherheit zu informieren.
Eine Vorladung vor den illustren Kreis der Vertreter der Staats- und Parteiorgane des Kreises und die Androhung der Kündigung folgten.
14 Tage später wurde mir angeboten, an einer Konzeption für die neuen Bildungsinhalte mitzuwirken.

Dieser Wendevorgeschichte folgten viele Erlebnisse als Leitungsmitglied des Neuen Forums: Räume für die Musikschule durchboxen, 27 Schulleitungen, auch die der jetzigen Landesschule Pforte, neu besetzen und dem Anspruch der Öffentlichkeit genügen, der ersten Sitzung des Pförtnerbundes in Peos Wohnung Raum geben, die Demonstrationen vom 04.11.89, vom 19.11.89, vom 15.01.89 beim Chef der Volkspolizei, OL Hackl, anmelden, das Neue Forum am Runden Tisch vertreten, den Partnerschaftsvertrag zwischen Naumburg und Aachen im Katholischen Pfarramt mitgestalten, während der Übergabe des Fremdspracheninstituts der NVA an die Bundeswehr den Landkreis zu vertreten, zwischen den noch vorhandenen und neuen Parteien zu verhandeln, im Landkreis Heppenheim das Neue Forum de Landkreises Naumburg vertreten, im Strafvollzug vor Weihnachten 1989 Gespräche zu führen, um nur einige Beispiele zu nennen.“

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