6. Begegnungen mit, um und aus Ostpreußen
6. Begegnungen mit, um und aus Ostpreußen
Die in ganz Deutschland verstreuten Ostpreußen fanden auch im nördlichen Raum ihre Heimat. So stieß Peo, nun schon stellvertretender Leiter einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft auf ein Dorf vor der Lübecker Bucht, auf Feldhusen, unweit von Pötenitz, seinem Wohnort, und Rosenhagen. Die Einwohner waren durchweg Vertriebene und nicht bereit, schon wieder ihre Höfe weg zu geben. Da halfen auch Lautsprecherwagen, Instrukteure und Agitationsbrigaden der Freien Deutschen Jugend, der staatlichen Jugendorganisation, nicht. Hier begann Peo das Gefühl zu bekommen, im falschen Film zu sein.
Der Direktor der Maschinen- Traktoren- Station Dassow, ein Ostpreuße aus Rastenburg und Patient Peos Großvaters daselbst, konnte die Bauern verstehen und hielt sich von den Einpeitschern und ihren Methoden fern. Ob das wohl lange gut ging? Peo hat darüber keine Kenntnis, er ließ sich schon nach einem Jahr von den Zwangskollektivierern abberufen.
In Mitteldeutschland wieder angekommen, begegnete er einer weiteren Geschichte. Der Kreisapotheker der Domstadt, verstorben in Bad Bibra, und Nachfolger Peos Vaters verbrachte einmal seinen Urlaub in Oberhof. Es war so um 1975, als er beim Sammeln von Heilkräutern einem gleichfalls sammelnden Ehepaar begegnete. „Haben Sie Sich schon immer damit befasst?“ meinte der Domstädter. „Ja“, war die Antwort, „für uns war das vor dem Krieg in unserer Heimat eine wichtige Einnahmequelle. Das Sammelgut brachten wir dann in die Apotheke nach Zinten, einer kleine Stadt nahe Königsberg, zum Apotheker Kah“. Wieder Zinten, Peos Geburtsstadt.
Im Sommer 2007 ging Peo, am Blauen Wunder der Gemeinde Flemmingen einbiegend und einem Feldweg folgend, über die Bundesstraße 88. Nach wenigen Minuten stieß er im Wäldchen der anderen Straßenseite auf eine Holzbank, auf welcher sitzend zwei junge Leute sich unterhielten. Der junge Mann, ein Lehrer aus Bad Kösen, fiel nicht auf, wohl aber die akzentuierte Aussprache der jungen Frau. Peo blieb stehen und bekam auf Nachfrage alsbald erzählt, dass die junge Frau aus Russland käme. Nun gab es kein halten. Peo erzählte von seiner Heimatstadt, die jetzt auch in Russland liege, aber geschliffen nur noch aus einem halben Kirchturm und einer alten Schule bestehe. Die Ziegelsteine seines Elternhauses wurden von Bauwilligen nach Königsberg entsorgt. Die junge Frau, so um 1980 geboren, zuckte ein wenig amüsiert mit den Mundwinkeln in Anbetracht der Botschaft, welche sie gleich zu verkünden hatte. „Sie werden es kaum glauben, aber ich bin aus Russland nach Deutschland gegangen und habe bis dahin in Kornewo, dem ehemaligen Zinten, gelebt“.
Und wieder erschien Peo die Welt als ein Dorf.
Dort, wo jetzt in Bad Kösen Reha- Kliniken stehen, hütete Peo, wenn er dran war, eine Herde Rinder. Anfangs konnte es dabei passieren, dass der unerfahrene Hirte bei Gewitter die Herde nicht in den Griff bekam. Anstatt sich vor die Rindviecher zu stellen und den Abgang zur Windlücke zu sperren, rannte er schimpfend hinterher. Ein gefundenes Fressen für die Setzer grüner Champions, schneller zu werden und im Sauseschritt durch das sehenswerte Portal der Landesschule in das Gut zu stürmen.
Hin und wieder kam der Kreisapotheker Burau flotten Schrittes mit seiner flotten Gemahlin beim Spazieren gehen vorbei, mit den sehnsüchtigen Blicken des 14-jährigen Peo im Rücken, auch ein intaktes Elternhaus haben zu wollen.
Weniger sehnsüchtig als vielmehr sich erinnernd sah Peo von der Weide auf den gegenüberliegenden Köppelberg, an dessen Fuße er im Herbst mit den blauen Militärs, den Kasernierten, aus der Kadette bei Eis und Schnee Rüben gehoben hatte, auf dessen Kuppe er am Pionierlager der Kreisstadt um 1950 teilgenommen hatte.
Schon um 1954 wurde aus dem Gelände ein Schießplatz der Besatzer und die Romantik, Hütejunge zwischen Kräutern, friedlich schnaufenden Tieren auf einer Weide, welche wie bei einem Krater umgeben von Wipfeln und Hügelspitzen war, entzog sich der Realität.