3.4.1. IQ oder Systemfehler?

Wir wollen ihr schlechtes Gewissen, das der politisch verantwortlichen Länderhoheiten, den Schülern weniger an Wissenserwerb zu bieten, als in der Deutschen Demokratischen Republik, etwas beruhigen, denn entgegen der einheitlichen sozialistischen Begabtentheorie gab es auch eigenwillige Auslegungen, welche den nicht altergerechten Ansprüchen des Systems geschuldet waren. Oder war es doch der individuelle Intelligenzquotient? Und gibt es nachfolgendes etwa in potenzierter Form?

Hausaufgabe aus der Klasse 4A, 1971, Sabine Kohlisch
Die Wiedergabe der sechs Regeln der gesunden Ernährung: „1. Hände waschen, 2. Danach werden die Essenmarken ausgeteilt. 3. Zweiunddreißig Mal Gauen“.
Die dir bekannten Zähne sind? „Spitzzähne, Reißzähne, Milchzähne“.
Wozu sind die Zähne da? „Die Spitzzähne zum reisen. Die Reißzähne zum Nüsse gnagen“.
Schüler Alfred Schmeißer wusste es besser. „Die Schneidezähne sind zum Schneiden, die Eckzähne zum haken und die Backenzähne zum malen. Auch darf kein Essen in den hohlen Zähnen bleiben“.
Wie drückt sich die Freundschaft zu sozialistischen Ländern aus? „Die Bauern borgen“.

Unterrichtsgespräch in der Klasse 1A, 1970,
„Das weibliche Tier ist die Sau. Die Kinder heißen Ferkel. Der Vater heißt? Na? Toppsau.“.

Unterrichtsgespräch in der Klasse 7A, 1971, Jörg Friede
Es ging um die Druckausbreitung in Flüssigkeiten. Weshalb trägt der Taucher Bleischuhe? „Damit er nicht an den Füßen friert“.
Bernd Gärtitz war schlagfertig. Am 1. April 1971 sollte der Siebenklässler eine Note erhalten. Welcher physikalische Zusammenhang besteht zwischen der geneigten Ebene und dem Auftrieb? Den Kopf leicht geneigt, die Augen schalkhaft in die Ecke gelenkt kam die Antwort: „Bei der geneigten Ebene geht es abwärts und beim Auftrieb aufwärts“. Der Knabe wurde belohnt.
Ein Jahr später formulierte er: „Wenn man einem Körper Wärme zuführt, dann erwärmt er sich. Entzieht man ihm Wärme, dann erkältet er sich.“
Heute ist das kluge Kerlchen ein Leiter großer technischer Projekte in der Heimatregion. Seine Mama, eine engagierte, lebenslustige und freundliche Grundschullehrerin, nie gewürdigt weil politisch sich nicht im Wettbewerb fühlend, konnte 1990 unter den neuen Bedingungen, so wie einige andere immer hinten angesetzte Lehrkräfte von Peo zur Oberlehrerin berufen werden.
Wenn hier einzelne Beispiele beschrieben werden, so stecken darin viele ähnlich laufende Schicksale, mit welchen sich der eine und andere identifizieren kann.

Auch die musische Erziehung kam nicht immer zum Tragen. Ein Konzertbesuch führte die Kinder der Klasse 4 in die Symphonie mit dem Paukenschlag, in Bajazzo, in eine Ouvertüre ein. Was gefiel am besten? „Am besten gefiel mir die Frau mit der Geige. Sie spielte so schön alleine“. „Mir gefiel am besten die Leonorenkonfitüre“. „Ich fand so schön, wie der Sänger so gelacht hat“. „Mir gefiel das Stück mit dem Paukenschlag, weil es aus dem Schlaf erwecken tut“.

Aber egal, ob Praktizierender oder Zuhörender, die früh- oder spätkindlich einwirkende musische Erziehung sorgte nach neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen gewiss immer für die Bildung neuer Nervenzellen und deren Kommunikation untereinander. Also immer ein Gewinn. Ob das auch bei den Genossen so war, als Uwe Neumann aus der Bürgergartenstraße zuschlug?

Jede Klasse wurde genötigt, einmal jährlich ein Programm zum „Fest der Jungen Künstler“ aufzuführen. Die Klassen mit Instrumentalisten hatten es leicht. Christian spielte schon im fünften Jahr, er war acht, Klavier.
Flöte, Akkordeon, Geige, Gitarre wurden vorgeführt. Wer kein Instrument hatte, sagte ein Gedicht auf. Viele Lehrkräfte fühlten sich verpflichtet, kleine Bühnenstücke über den Sozialismus, die Helden der Arbeit, die tapferen Soldaten, die tüchtigen Genossen, umrahmt mit Schautafeln, aufführen zu lassen.
Lehrer Peo hatte keinen Druck ausgeübt und stand nun Ende der siebziger Jahre ohne Aktivisten da. Kathrin, sehr christlich erzogen, wollte er schonen. Myrian, das zarte Kind wollte er nicht vom „Hochamt der Genossen“ berichten lassen. Für jedes einzelne Kind wäre ein ausgeübter Zwang ein politischer Missbrauch. Das Redetalent von Lutz Hilbig kam noch nicht zum Tragen.

Peos Schüler, welche mit ihm litten grinsten und zeigten auf „uns Uwe“. Der war Mitglied im Spielmannszug, beherrschte die Trommel und war für einen Scherz, die Verantwortung trug ja schließlich die Lehrkraft, aufgelegt.

So wurde also am Festtag in der Aula der Fritz-Weineck-Oberschule, hier war die Jan-Hus immer zum gegebenen Anlass Gast, der Beitrag der Klasse 8a angekündigt. Die hauptamtliche Pionierleiterin gab von sich: „Liebe Pioniere und FDJler. Es folgt der Beitrag der Klasse 8a.“

Der lang aufgeschossene und leicht gelockte schmucke Neumann mit den unschuldigen Augen eines in Öl gemalten Erlösers betrat, die Trommel umgebunden, die Bühne und sagte klar und deutlich: „Ich spiele jetzt die Locke“. Mit großem Ernst und beharrlicher Ausdauer erfolgte nun ein ungebremstes Getöse wie nachts zum Kirschfest in einem Bierzelt, nur unterbrochen von weiteren Ansagen Uwes.
Die Nervenzellen des wie ein Bräutigam seine Braut suchenden Schulleiters, die Blicke zwischen den Genossen und manchem dienernden Kollegiumsmitglied verrieten Unverständnis. Ist das etwa die Frust ablassende Vorstufe der Konterrevolution? Es reichte nicht für einen vorderen Platz.
Dafür sang dann am Schluss der spätere Alt-CDUler und Bundestagsabgeordnete Harald Schreiber, an diesem Tag aber noch ein sich im Umgang mit Schülern quälender Musiklehrer, im schönsten Koloratursopran und immer einen Ton daneben und alle den Abschlussgesang singenden übertönend das „Brüder zur Sonne zur Freiheit“.

Alexander Eckersberg, Klasse 7A, war am 10.06.1971 die Ruhe selbst, als nach der Behandlung des Kreiszylinders und der Benutzung von Tafelwerk und Rechenschieber vorgegeben wurde, alle Multiplikationen mit dem Schieber durchzuführen. Wie würdest du zwei Mal sieben lösen? „Ich nehme das Tafelwerk und suche eine Formel“.
Zu DDR-Zeiten gab es hin und wieder Erfindungen, wie die Einteilung der Klassen in Brigaden mit zu führenden Brigadeheftchen. Die darin enthaltenen Eintragungen halfen im Kampf gegen die Defizite, sagte man. „Mitsching und Hiller sprechen in der Stunde. Prüfer und Schwertfeger stören durch schwatzen. Jacob isst in der Stunde“ Es waren oft die Hochbegabten, welche in die Abwechslung flohen.

Die in der Summe 27 vereinigten Allgemeinbildenden Schulen, die Polytechnischen Oberschulen, Erweiterten Oberschulen und Sonderschulen in Herrengosserstedt, Eckartsberga, Klosterhäsler, Taugwitz, Sieglitz, Bad Kösen, in der Naumburger Wagnerstraße, Karl-Marx-Straße, Kösener Straße, Weißenfelser Straße, Schulstraße, am Kramerplatz, in der Siedlung, in Mertendorf, in Wethau, in Schönburg-Possenhain, die Erweiterten Oberschulen in Schulpforta und in der Thomas-Münzer-Straße, die Berufsbildende Schule Naumburg, die Lernbehindertenschule, die noch zu erkämpfende und dann neu gebildete Sonderschule für Geistigbehinderte, die Musikschule - sie alle bekamen 1991 im Nochlandkreis Naumburg, dem Landkreis mit seiner geografisch gurkenähnlichen Form im Süden des Landes, neue Schulleiter und einen neuen Status. In kurzer Zeit waren nach einem Meyer-Erlass der Berliner Nochregierung durch den Kreisschulrat Besichtigungen der 27 Kandidaten vorzunehmen. In Herrengosserstedt geschah dies am 19. November 1993 um 08.10 Uhr, um 09.15. Uhr und im Auswertungsgespräch um 13.30 Uhr. Vorher waren alle zu besichtigenden Bewerber schon „im Auftrag“ dienstlich tätig. Diese schnellen Beauftragungen ermöglichten die Trennung von den eingefahrenen Kadern, schlossen dadurch aber natürlich eine Fehlerquote durchaus ein.
Erschwert wurde die Lage durch missliche Umstände. Ein informeller Mitarbeiter der Staatssicherheit konnte nicht Leiter eines Schulaufsichtsamtes bleiben. Er hatte sich während einer Dienstberatung in Dessau selbst geöffnet, beziehungsweise dem erstaunten Kollegium der Schulräte des Landes diese Tatsache eröffnet.
So wurde 1992 der Bildungsbereich des Nachbarkreises Peos Schulamt zugeschlagen. Der zweite Mann, ein mittelalterlicher Sachse, ging dorthin auf den Hügel, um zu erhalten, worüber andere nur residierend wirkten. Bei seinem Weitblick hätte es allerdings auch eine Amtsführung in einer eben liegenden Straße getan. Jeder für sich hatte nun Aufgaben für zwei.

Entgegen der Meinung und Empfehlung des Leitenden Regierungsdirektors im Regierungspräsidium, die Ernennungen verschwiegen und ohne Aufsehen vorzunehmen, machte Peo aus der Übergabe der Berufungsurkunden im Altkreis eine vorher der Presse avisierte offene Dienstberatung. Er weigerte sich, die immer mehr um sich greifende mauschelnde Parteienpolitik, die offensichtlich hinter dieser Anordnung steckte, mitzumachen. Eine Heimlichtuerei, welche sich immer weiter vom Bürger und dessen Informationsrechten entfernt, welche damit unseriösen Absprachen Tür und Tor öffnet, ein Mitdenken, Mitgestalten und Mithandeln dem Volk erschwert.
Eingeladen wurden die Kandidatinnen und Kandidaten ohne Ehegatten und Ehegattinnen, also auch Heidi ohne Manfred. Das geschah am Donnerstag, dem 8. Juli 1993. Na ja, es war wohl mehr eine festlich dienstliche Freudenveranstaltung im alten Ratskeller. Nicht umsonst ließ die Presse einen Tag später verlauten, dass der Schulrat „mit sichtlicher Freude die Ernennungen überreichte“. Warum wohl bestellten sich sonst zwei der Sekundarschulleiter, welche später auch noch Stadträte wurden, gleich ein Maß Bier? Der Kreisschulrat Peo erschrak etwas ob dieser Völlerei, denn üblich war das nicht. Eine Bier-Fahne im anschließenden Schulbetrieb? Nun gut, die Stimmung rechtfertigte den Übermut und auch das abschließende Glas Sekt, welches ein jeder sich selbst bezahlte.
Heute soll es ja nun üblich geworden sein, zu jedem Anlass in allen Behörden und Ämtern Sekt zu reichen (man erkennt sie an den unnatürlichen Gesichtsverfärbungen) und Halbtagsfreistellungen zu vergeben.

Die Tageszeitung, 1993 noch in vielen Haushalten zu finden, gab nun allen die Gelegenheit, ein Für oder Wieder zu den Ernennungen zu befinden, nicht unwissend vor sich „hin zu krepeln“, wie es im regionalen Dialekt heißt.

Wurde im Gegensatz dazu der oft ausgegebene Wein des Kastrators von der Stadtkasse bezahlt?

Und wie war das nun mit dem weiter oben erwähnten Schicksal?

Ja, das Schicksal ließ es anders kommen. Der öffentlich formulierte Standpunkt „ich bin jetzt berufen, nun kann ich, wenn ich will, goldene Löffel klauen“ ließ die letzten feinen Fäden von Vertrauen und Zuneigung reißen. In dem im Regierungspräsidium gesponnen politischen Netz, das hatte sich nach der Wende ganz schnell und ohne Morgentau unsichtbar gebildet, gab es nicht einmal für den sonst so einflussreichen Händel einen Faden, an welchem er sicher gerne gezogen hätte. Einige Strippenzieher verließ nun doch der Mut oder ließen sie ihr Mündel fallen? Auf jeden Fall ging die Dame dann doch unter freiwilligem Zwang, nicht ohne vorher noch eine andere Schule leitend heimgesucht zu haben. Erinnert sich jemand in Weißenfels?

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