3.8. Demagogen

Redlich verdient hatte der Schwarze diesen Sieg wohl nicht, sagt man, denn es quollen noch vergeistigte Deponiedämpfe aus so manchem Mordtal der Nebenregionen Flemmingens durchs Land, sich im Kurort und den Lungen der Kurenden verflüchtigen sollend. Und so sollte es ja eigentlich auch nicht kommen, aber die bissigen Bemerkungen des Oppositionsführers und die höhnischen Gelächter seiner Mitstreiter nach dem ersten Wahlgang, welcher keinem eine Mehrheit brachte, aber den Sieg der roten Opposition mit einer Stimme Mehrheit signalisierte, diese waren Peo schon einmal während eines Kreistages auf die Nerven gegangen, zermürbten seine Dankbarkeit und er wurde erstmalig mit dem Trick des Antrags auf eine Auszeit vor dem dritten Wahlgang ein unsachlicher Gegner.

Er war nicht mehr der sachbezogene Regionalpolitiker, sondern ein parteihöriger und in seiner ehrlichen Naivität verletzter Macher. Die Auszeit nutzte er also zu einem eindringlichen Gespräch mit Vertretern einer dritten Partei, erwog und bot auch eine gewünschte Ämterverteilung an. Peo ein Haudegen mit oft praktiziertem Gerechtigkeitswahn im ehemaligen Lehrerkollegium, hatte von seinem ihm seit kurzem begegneten Ländlelehrmeister, welcher ihn zunächst als Fels in der Brandung titulierte, Machenschaftspraktiken eingesetzt.
Erstaunliche Erkenntnis: Im politischen Geschäft ist Fehlverhalten so ansteckend wie im Dschungel die Schwarzwasserkrankheit. Seinem nun nicht gewählten Beigeordnetenkollegen sah er lieber erst einmal nicht in die Augen. Später hatte er bald den Eindruck, dass diese Wende für dessen nachfolgende Karriere von Vorteil war. Sein Gewissen beruhigte sich auch bald, denn seinen Gegenspielern war diese Praxis aus eigenem Handeln nicht unbekannt.

Zwei Jahre später gingen die Schwarzdemokraten dann auch dank einer demagogischen Pose des Spitzenkandidaten, überall im Land wie Napoleon mit einer Hand im Jackett aushängend, in die Knie. Wer hatte ihm nur dazu geraten? Alle guten Geister sicher nicht. Mögen sich künftige Kandidaten weniger herrisch ablichten lassen. Der Rotdemokrat wurde König. Er würde sagen „Über mir war die Hand Gottes“.
Es sei ihm gegönnt und gedankt.

Gedankt? Warum sollte Peo besser sein als alle anderen und danken? Dank, politisch infiziert, ist eine Hure. Er bietet sich nur dort an, wo Lohnendes winkt. Peo hatte Gymnasien eröffnet, Schulleiter bestellt, Sonderschulen den Weg mit überzogenen Redezeiten im Kreisparlament geöffnet, einem Landrat den Weg bereitet, bedrängten Eltern, Schülern und Lehrkräften geholfen.
„Herr Peo, unsere Tochter hat die Schule abgebrochen und sich herumgetrieben.“ Peo besprach den Fall mit einem seiner vertrauenswürdigsten Schulleiter. Das Kind, die Jugendliche, kam in die alte Klasse. Bald folgten Lehre und Berufsabschluss. Selbstherrlich? Sicher in den Augen der obersten Bürokratie, der Vollstrecker der Dauererfinder von Schulformen, ein Skandal. Die brauchten zum Selbsterhalt bürokratische Hürden. Peo hatte für so eine Einzelfallentscheidung nur ein Eltern- oder Schülergespräch und einen Telefonanruf zu führen, eine Unterschrift zu leisten. Es war nicht der einzige Einzelfall.
Ein junger Mann verlor nach der Wende seine Lehrstelle in einem nahe gelegenen Mineralölwerk. Längst überaltert wurde er in eine angemessene Klasse eines Gymnasiums eingewiesen. Dem Abitur folgte die Banklehre und bald die Leitung der Kundenberatung in einer Filiale.
Peo betrachtete selbstloses Handeln als moralische Kategorie und suchte keinen Dank und schon überhaupt nicht Anerkennung der über ihn gestellten.

In der ersten Legislaturperiode des Kreistages wurden die politischen Ämter wie Landrat und Beigeordnete gewählt. Bei aller Vielfalt der Aufgaben in dieser rechtlosen Zeit des Aufbruchs kam ihm nie der Gedanke, eine Mannschaft hinter sich zu bringen, Abstimmungen für sich vorzunehmen. Im dreißigjährigen täglichen Umgang mit kleinen und großen Kindern war er auf geradliniges und spontanes Verhalten orientiert, nicht auf hinterhältiges Taktieren und gekonnte Bösartigkeit. Er war der gewählte Fraktionsvorsitzende, er war der Kandidat für den Beigeordneten, alles wird schon seinen aufrechten Gang gehen. Mit dem Aufruf der Kandidaten zur Wahl tauchten plötzlich Namen auf, die bisher nicht wahrzunehmen waren. Nicht als wagemutiger ungebetener Gast mit Forderungen der Erneuerung im alten Kreistag, nicht am Runden Tisch, nicht in Foren gegen und über die alte Macht.
Es waren die, welche erst nach der Gefahr wie Ratten aus ihren Löchern krochen und sich als selbsternannte Verdienstvolle in den Jubiläumsfeiern der Wende positionierten.
Die Einzelheiten erschienen Peo erst später im Traum, deshalb später mehr.

Alles geht seinen demokratischen Gang? Nichts ging seinen Gang!
Erster Wahlgang - keine benötigte Mehrheit. Mit dem Eingreifen eines Rotdemokraten, er wurde später der oberste Verwaltungschef, und der Stimmgewalt seiner Fraktion ging der Magen aus den Kniekehlen wieder an seinen alten Platz. War später, siehe oben, Dankbarkeit oder politische Pflicht angebracht? Wenn er sich die heutigen Verhältnisse und Kungeleien regional, landes- und bundesweit ansieht, plädiert er doch mehr für die menschliche, sprich dankbare Variante. Aber ist das nicht schon wieder unredlich? Nur, wer ist der Tüchtigere, dem Allgemeinwohl besser zustehende? Immer wieder Fragen über Fragen, aber auch ein guter Zündstoff für den Leser, so es einen gibt.

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