5.2.5. Unangemessenes

5.2.5. Unangemessenes

Was sangen Sange und andere ehemalige Lehrer des Unterrichtstages in der sozialistischen Produktion? Bestimmt keine Klagelieder. Erstens brauchten sie am Samstag nicht unterrichten und holten lieber die Brötchen für fünf Pfennig das Stück. Zweitens sahen sie die ganze Woche über die Freude der Schülergruppen am Knobeln, Feilen, am Planen der Arbeitsschritte und beim Vorlegen der Endprodukte. Noch gibt es diese erfahrenen Praktiker, Könner und Macher. In einem Pädagogischen Rat der Polytechnischen Oberschule Jan-Hus am Montag, dem 26.10.1981 kam es zu folgender zusammenfassenden Aussage über das Erleben der Schüler im Betrieb:
„Der Schüler erlebt im Betrieb Kollektivgeist, die Zuarbeit untereinander, die Disziplin mit Auswirkungen auf den Unterricht, das Abrechnen nach Fakten.“
„Jeder ist sich seiner Bedeutung bewusst. Jeder gehört zum Kollektiv. Jeder wird gebraucht. Es wird gerecht abgerechnet. Jeder muss sich bei Verstößen stellen, es wird öffentlich abgerechnet.“
Für Schüler durchaus akzeptable Anforderungen, wenn diese rechtsstaatlich untersetzt sind.
Umgesetzt wurden sie zu DDR-Zeiten jedenfalls nicht. Der Werktätige überführte in Privateigentum, wo und wann er nur konnte. Die Fehlleistungen der Leitenden wurden vertuscht, ihre Bereicherungen am Volkseigentum ignoriert.

Es wurde erzählt:
-Der Leiter eines Reichsbahnbetriebes am Ross ließ seine Frau im Dienstwagen zum Friseur nach Frankreich fahren.
-Die Leiter eines Metallbetriebes ließen sich kostenlos Gewächshäuser bauen.
-Der Leiter eines Betriebes ließ sich von Strafgefangenen unentgeltlich sein Haus bauen. Später wollte er seinem nach der Wende kapitalistischen Chef die Notwendigkeit der Übernahme seines weißen Betriebs- Mercedes kostengünstig abschwatzen. Der roch den Braten und zog das Fahrzeug ein. Auch ein Nachbargrundstück konnte er nicht krallen.
Das wäre, verglichen mit den heutigen Bereicherungen im kapitalistischen Rechtsstaat nur eine Kleinigkeit. Nur nennen sich die heutigen Täter nicht Genossen Sozialisten und sie haben sich auch nicht den Grundsätzen der sozialistischen Moral und Ethik verpflichtet. Zu DDR- Zeiten waren das aber keine Kavaliersdelikte sondern Wortbrüche gegenüber dem Parteistatut.

Die Leitenden in der DDR waren sich ihrer Bedeutung bewusst, fühlten sich nicht dem Kollektiv zugehörig und unterschieden sich in nichts vom faulenden und parasitären Verhalten der Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates, den Bankchefs und Aufsichtsräten.
Sie unterschieden sich zwangsläufig doch. Sie waren viel anspruchloser im materiellen Bereicherungsspiel, weil eingeengter.

Und wie verhielt sich der einfache und etwas höher in der Hierarchie angesiedelte Werktätige?
„Während eines Kartenspiels kam es zu einem Disput. Ein junger Geschäftsmann hatte sich um das Jahr 2000 Geld geliehen und die Raten hin und wieder mit Zeitverzug zurückgezahlt. Obwohl der Kreditgeber den Kredit vergab, um die Zinsabschlagssteuer auf seinen Konten zu umgehen und die restlichen 400 EURO alsbald folgten bemerkte ein schon übellaunig eingetroffener Achtundsechzigjähriger, seine eigenen Diebereien hätten keinem persönlich geschadet, wie im Fall des jungen Geschäftsmannes. Peo hatte erwähnt, dass zu DDR-Zeiten alles mitgenommen wurde. Bretter, Metallmaterial, Werkzeuge, Armaturen, Schreibpapier, Schulkreide, Brennstoffe, Kraftstoffe, Steine, Umwege bei Fahrten mit Betriebsfahrzeugen, Baustoffe, Ziegel, Geldeinnahmen aus dem Schulgarten durch einige Schulleiter der Erweiterten Oberschule Pforte und der Polytechnischen Oberschule Taugwitz, Gewerkschaftsgelder, Essengeldeinnahmen durch städtische Angestellte, Parteibeiträge durch Kreissekretäre der Staatspartei SED waren in der Mangelwirtschaft vor den Zugriffen der Betriebsangehörigen nicht sicher. Man schadete ja keinem persönlich. Auch die Entgegennahme von Geschenken eines Mitarbeiters in einer wasserwirtschaftlichen Landesbehörde mit Sitz in Gera, aus alter Gewohnheit sogar nach der Wende betrieben, sei unbedeutend.
Beim Kartenspiel nun auch noch verloren, brach der übel gelaunte vorzeitig auf und ward nicht mehr gesehen“.

Zurück zur Schullandschaft:
Einer der Polytechniker hatte im Oktober 2007 an einem der im Oberlandesgericht gehaltenen Abendvorträge dem Kultusminister ein Handlungskonzept angeboten, um schnell wieder den bewährten Unterrichttag in der Produktion einführen zu können. „Warum wurden sie nicht als Berater reaktiviert, ihr Mondscheinplanetarier?“ fragt sich das Volk noch heute.

Hoffentlich kommen jetzt nicht wieder die gut dotierten Überschlauen zu Wort und fordern: „Aber bitte vorsichtig und schonend mit unserer Jugend umgehen. Nicht zu früh aus den Betten, nicht zu mager das Frühstück, nicht zu leise der Betriebsfunk“. „Und nicht zu teuer. Denn erst müssen die Diäten her, und zwar rückwirkend“.

Hallo ihr Mädchen und Jungen, falls einer von euch das liest, Peo kann euch nur sagen: “Nichts ist schöner, als die Morgenstunde in einem Betrieb mit einer Tagesaufgabe vor Augen und dem Gefühl, gebraucht zu werden“. Der bekannte Fernsehstar Pitti aus dem Kinderfernsehen würde sagen: „Kannste glaubm“.

„Erinnerungen sind das Vorrecht des Geistes, alles mehrmals zu erleben“. Schöne Erinnerungen lassen mehrmals genießen.
Die träumerischen Augen der 16 jährigen Sylvia Mönch, die aufgeweckten Augen von Ralph Laucke, die intelligente Ausstrahlung der zierlichen Antje Hassenberg, die unschuldig blickenden Augen eines Ronald Frohn nach einer Untat (in 2010 lebt er in Gieckau und ist schöpferisch literarisch beschäftigt, trug 2010 im Restaurant Bocks sein Schaffen vor), die kritischen Augen eines Wolfram Marquardt im Mathematikunterricht (der Lehrer unterrichtete ihm nicht freihändig genug), die klugen und Ruhe ausstrahlenden Augen von Cornelia und Ariana Beste, die witzige Art von Cornelia Liebig, die neugierigen Augen der vielen Jungen und Mädchen lohnen der Erinnerung.
Mit den Jahren 1973 und 1982 kamen nun auch die eigenen Kinder Peos, bald auch hineingewachsen in die Schülerschaften, vom Übermut, Wissensdrang und von selbst produzierten Schülerstreichen nicht verschont, in das Erinnerungsregister.

Auch bestimmte Begebenheiten sind der Erinnerung wert. Eine davon erlebte Peo auch auf einer anderen Wanderung mit den polytechnischen Oberschülern:
Mit siebenundzwanzig Zehnklässlern stieß er nahe des Inselsberg so um 1975 unangemeldet auf eine Thüringer Gaststätte mit dem Aushang: „Sie werden platziert“. Ein Versuch, eine Mittagsmahlzeit zu bekommen, war von Erfolg gekrönt. Die Bedingung des Obers hieß: „Ruhiges Verhalten. Keine Störung der Feriengäste. Die Glasterrasse ist frei“. Alle schworen, sich taub und stumm zu stellen. Der Einzug begann. Durch den mit Geprächen erfüllten Gastraum wurde die Gruppe in eine Veranda begleitet. Und was geschah? Die Mittagsgäste verstummten und schauten dem traurigen Zug behinderter Jugendlicher auffallend betroffen hinterher. Fast hätten sie vor lauter Mitleid den Appetit verloren und den Umsatz geschädigt. Platz genommen und auf die schnell zubereitete Suppe wartend, durfte dann mit dem ersten Löffel der Speiseaufnahme das Redeverbot aufgehoben werden.
Ein fröhliches Gelächter der Gäste befreite die Lehrkraft von dem Schuldbewusstsein, eventuell einen makabren Scherz vorgeführt zu haben.

Davon konnte man zehren, um die nächste Untat zu verkraften!

In einem Pädagogischen Rat wurde der Lehrkörper aufgefordert, zu beschließen, dass „diejenigen Gastschüler eines Nachbardorfes mit einer bekannten Burg, welche am Religionsunterricht teilgenommen haben, nicht die Zulassung zum Lehrerstudium und zur Laufbahn als Erzieherin bekommen dürfen“. Mit Peos Drohung, bei zustande kommen dieses Beschlusses beim Kreisstaatsanwalt, Staatsanwälte waren zu der Zeit noch „nicht nur Anwälte des Staates“, Anzeige zu erstatten, konnte das Schlimmste verhindert werden. Praktiziert wurde der Glaubenskrieg trotzdem, ist anzunehmen. In dieser Zeit beschäftigte sich Peo erstmalig, gereifter und intensiver mit der Rolle der Kirchen im Unrechtsstaat, ihren mildernden Eingriffen in das Unrecht, auch wenn diese den Zugriff am Ende auch nicht verhindern konnten.
Er begriff langsam die Rolle der Jungen Gemeinde in der Landesschule Pforte und die Haltung von Anja Treichel, die dezent gehaltene Festigkeit im Glauben von Kathrin Stange, von Martina …, die der Schönburger.

Später arbeiteten sie, die Bürgerbewegung und der noch wirkende Staatsanwalt, eine kurze Zeit beim Versiegeln der Abhör- und Postdurchsuchungsräume unter der Schalterhalle der Hauptpost zusammen. Eine leitende Angestellte musste am späten Abend unter Protest ihre Badewanne in der Völkerfreundschaft, jetzt Schreberstraße, verlassen, um die Türen zu nächtlicher Stunde zu öffnen. Dicke Kabel führten aus geheimnisvoll wirkenden Apparaten direkt zur Staatssicherheit am Marienring. Das war genau am Abend der öffentlichen Anhörung des MfS.

In diesen Zeitraum der siebziger und achtziger Jahre fiel auch die Gründung einer Familie, die Geburt der Tochter und die Geburt eines Sohnes, welcher mit seinem 16 jährigen Schulfreund im Herbst 1989, beide sind heute Unternehmer und ehemalige Pfortenser, ein selbstbemaltes weißes Lacken mit der Aufschrift „SED – darf nicht sein – ist für uns ein Klotz am Bein“ im Demonstrationszug trug, sowie 1963 die Berufung zum Schulleiter.

Während der bekannte und ehrenwerte Drogist Rossmann, dem nichts, wie er im Riverboot, einer Fernsehsendung, von sich gab, geschenkt wurde, in einem Altbundesland seine Ladenkette begann, wurde Peo als Schulleiter schon wieder verleumdet und abberufen, in die Türmestadt versetzt und dann alsbald als Reservist in ein Eisenbahnpionierregiment kommandiert.
Die Abberufung erfolgte durch einen Beschluss mit der Nummer 120- 20/68. Es hieß darin: „Der Kollege hat in seiner Tätigkeit als Direktor der Oberschule ... es nicht verstanden, die Prinzipien der sozialistischen Leitungstätigkeit durchzusetzen. Die politisch- ideologische Führungstätigkeit entsprach nicht den Anforderungen eines sozialistischen Leiters. Im gegenseitigen Einvernehmen beantragen wir seine Abberufung“. So stand es geschrieben. Im Kreistag wurde verlesen: „An der von Peo geleiteten Schule gäbe es zu viele Schulabgänger und Wiederholer“ erfuhr Peo bei einer Zufallsbegegnung mit dem langjährigen Kreisapotheker Burau, welcher Abgeordneter des Kreistages war, später in Bad Bibra in den Freitod ging.
Abgestempelt und gelogen. Dazu haben sicher viele kleine Vergehen des selbständigen Handelns gegen die Beschlüsse der Partei, der Peo nicht angehörte, unbedachte oder spontane Äußerungen wie „da oben sitzen lauter Idioten“, die Missachtung der ihn ausspähenden Parteifunktionäre und Funktionäre der Gewerkschaft, getarnt als Arbeitsbesuch, geführt.

Später begegnete er dem zur Unterschrift verpflichteten Ratsvorsitzenden, dem sehr wohl der Begriff „in gegenseitiger Übereinstimmung“ hätte auffallen müssen, wieder. Er, der sich später als Botschafter des DDR- Regimes staats- und parteitreu erwies, ganz systemnah war, vollgestopft mit Orden und Ehrenzeichen, von allem Übel, welches zum Herbst 1989 führte, wissen musste, er nutzte die Chancen, welche die neue Demokratie bot, hemmungslos aus und wurde Stadtrat. Im Jahr 2001 war sich die lokale Presse nicht zu schade, auf einer fast ganzen Seite einen Mann zu würdigen, welcher in ihrer Entwicklung noch ungefestigte Länder auf die sozialistischen Staaten orientierte. Auf eine korrigierend eingreifende Leserzuschrift Peos vom Mai 2001 reagierten weder die Redaktion noch der angeschriebene Herausgeber. Peo vermisst auch heute noch die Gleichbehandlung derer, die unter den Aktivitäten dieser Vertreter der Öffentlichkeit litten.

Wer greift einmal in einem Pressebeitrag die Lebensgeschichte der Betroffenen auf? Junge Historiker aus der Landesschule? Oder doch ihre Heilig-keit?

Der nach der Abberufung sofort zu vollziehende Reservedienst war schneller angeordnet, als die Bereinigung der Unterlagen im Wehrkreiskommando. Der Kompaniechef, bass erstaunt über einen dienenden Schulleiter, kommandierte Peo sogleich zum Parteisekretär der Partei der Arbeiterklasse in der Kompanie, denn ein Schulleiter konnte nur ein Genosse sein. Ist das nun lustig oder schon ein Schritt in das bedingungslose Unterordnen zum Wohle des Systems? Einen parteilosen Schulleiter konnte er sich nicht vorstellen.

Befehl ist Befehl, also sammelte Peo. Hier erlebte er auch den immer wiederkehrenden Scherz für Anfänger. Man klopfte an. „Herein“. Man trat ein und musste sagen: „Genosse Oberleutnant, gestatten Sie, eintreten zu dürfen?“. „Sie sind doch schon drin!“.

Im Flur lachten die Anstifter, hinter dem Schreibtisch der OL. Durfte der Delinquent auch lachen? Wie gesagt, Peo nervte nichts.
Als keinen Scherz empfand er die Tatsache, dass aus der Küche die für die Soldaten angelieferten Thunfischbüchsen sich in Luft auflösten, dass von den angereisten Einberufenen die Besoffensten in den warmen Kohlenkeller zum Schaufeln abkommandiert wurden, bei Alarm grinsend aus ihren Luken schauend, und die Schnellsten bei Alarm abgefangen wurden, um die schweren Munitionskisten zu schleppen. Die Kohlebunkersoldaten amüsierten sich in dieser Zeit köstlich. Die Kompanie schleppte Gleise, Schwellen und ähnliches Gelumpe und bekam trotz ingenieursoldatischer Betreuung und Aufbauskizzen nicht eine aufzubauende Weiche hin. Na ja, die passten zu den im Hintergrund aufgereihten Mannschaftswagen „Ural“. Den meisten fehlten wichtige Betriebsteile. Umso funktionstüchtiger wurden dagegen die Soldaten gemacht, wenn der etwas zu klein geratene Unterleutnant schrie: „Marsch, marsch ihr jungen Hengste“, „Tiefflieger von links“, „Panzer von rechts“ usw. usf.

Eine solche Vereinnahmung erlebte Peo ja auch als Lehrling. Dein Vater ist ein Intellektueller? Du bist FDJ-Sekretär und machst auch gleich die Wandzeitung. Das war 1952.

Dreißig Jahre später durfte Peo, der ehemalige FDJ-Sekretär, mit seinen Schülern den FDJ-Nachmittag, welchen er regelmäßig abhielt und mehr mit täglichem Leben, als mit Ideologie füllte, nicht gestalten. Diese Aufgabe übernahm der zuverlässigere Genosse Schuldirektor, ein Diplompädagoge, höchst selbst. Bei diesem Vorhaben ist es dann geblieben. Die Nachmittage fielen regelmäßig aus.

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